Kirmes des Todes
zog ihn zu einer hölzernen Bank, die er einige Meter entfernt gesehen hatte. Hier könnte Kirmes-Schmitz den Brief geschrieben haben, dachte Bahn. Er blickte in den überquellenden Abfalleimer und wurde wieder fündig. Eine leere Metaxa-Flasche lag obenauf. Als er sie packte, sah Bahn darin einen zusammengerollten Briefumschlag. Kurzentschlossen zertrümmerte er die Flasche auf einem Stein. Der Briefumschlag war von Kirmes-Schmitt wie Bahn an der Schrift erkannte. Kirmes-Schmitz hatte die Privatadresse von Bahn auf den leeren Umschlag geschrieben. Wahrscheinlich hat er es sich anderes überlegt und mir dann über die Redaktion die Kopie zuschicken wollen, folgerte Bahn. Er steckte den Umschlag ein und ging zu seinem Wagen.
Der Blick auf die Uhr machte ihm ein schlechtes Gewissen. Er wollte die Geduld und Rücksichtnahme von Waldhausen nicht über Gebühr strapazieren.
Der Kirmesdirektor
Waldhausen hatte Bahn vertraut. „Ich hab’ dir auf der Eins den Platz gelassen, den du haben wolltest“, sagte er ruhig, als Bahn kurz nach Mittag in die Redaktion gehastet kam. „Was ist denn eigentlich los?“
Kurz und präzise schildert Bahn das Geschehene und zeigte seinem Chef die Briefumschläge. Waldhausen schaute ihn fragend an. „Willst du dranbleiben?“
„Gerne.“
„Und wie?“
„Ich weiß es noch nicht, aber das fällt mir ein, wenn ich meinen Artikel schreibe. Die Überschrift habe ich schon: ,In den Tod getorkelt?’“
Begeistert war Waldhausen wahrlich nicht von diesem Titel, wie sein Gesichtsausdruck verriet. „Da denk dir mal was anderes aus. Oder soll ich die Überschrift machen, wenn du mit dem Schreiben fertig bist?“
Bahn nahm das Angebot dankend an. Er empfand es als wohltuend, wie sein Chef ihn und seine Kollegen unterstützte, wo er nur konnte.
Der Artikel war schnell geschrieben. Das Bild, das die Plane zeigte, die den Toten verhüllte, war in wenigen Minuten entwickelt. Bahn gab den Abzug Fräulein Dagmar, die ihn einscannte und elektronisch zur Zentralredaktion nach Köln jagte.
Bahn suchte derweil im Telefonbuch nach der Nummer von Franz Meier und wurde rasch fündig. Der Vorsitzende der Dürener Schaustellervereinigung wohnte nach dem Bucheintrag in Arnoldsweiler. Telefonisch wollte Bahn mit ihm ein Treffen vereinbaren. Doch er hatte Pech. Meier ließ über seinen Anrufbeantworter mitteilen, daß er für eine Woche abwesend sei. Na klar, dachte sich Bahn, der war zum Pressegespräch nur auf Stippvisite im Rathaus und nimmt noch eine andere Kirmes mit, bevor es in Düren losgeht. Bei Holt würde es nicht anders sein. Der erschreckte jetzt bestimmt woanders die Kinder.
„Da bleibt nur noch Zins“, meinte Bahn zu Waldhausen. „Vielleicht kann mir der Kirmesdirektor weiterhelfen. Ich will jetzt wissen, was mit Kirmes-Schmitz los war.“
Die Freude von Zins war ungekünstelt, als er Bahn am Nachmittag vor seinem Haus in der Friedenau in Kreuzau begrüßte. „Du hast Glück, daß ich überhaupt da bin, Helmut. Ich sollte eigentlich nach Koblenz fahren“, erklärte der Pensionär. „Die wollen dort einen Rummel aufbauen und ich soll sie dabei beraten.“ Er bat den Journalisten ins Haus und seufzte. „Es ist halt ein altbekanntes Sprichwort: Der Prophet gilt nichts im eigenen Land.“
Bahn wußte, was Zins damit meinte. Der Kirmesdirektor hatte immer noch nicht den abrupten Abschied von seiner Annakirmes verschmerzt. Als er vor drei Jahren aus dem Dienst der Stadt Düren verabschiedet worden war, gab es zwar viele herzliche Worte, aber keine Taten. Selbstverständlich wollte man ihn weiter um Rat fragen bei der Gestaltung der Annakirmes. Solch einen Fachmann wie ihn könne die Stadt nicht so leicht ersetzen, hatten bei seinem Abschiedsfest Bürgermeister und Stadtdirektor vollmundig erklärt.
Doch seitdem hatte ihn niemand mehr gefragt. Zins wurde von der Stadt noch nicht einmal als Ehrengast zur Eröffnung der Kirmes oder zum traditionellen Abend der Stadt eingeladen.
Auch Grundmann, der zuvor dem Kirmesdirektor unterstellt gewesen war, hatte seinen Vorgänger nicht mehr um Rat gefragt. „Das verstehe ich sogar noch“, meinte Zins zu dessen Entschuldigung. „Ich war auch mal jung und hatte nach dem Krieg meine eigenen Ideen von der Gestaltung der Kirmes. Der macht das schon und verpaßt der Kirmes seine eigene Handschrift.“
Aber nicht nur das Verhalten der Stadt war unrühmlich gegenüber dem
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