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Kirschholz und alte Gefühle: Roman (German Edition)

Kirschholz und alte Gefühle: Roman (German Edition)

Titel: Kirschholz und alte Gefühle: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marica Bodrožić
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dem Grund fragte, sagte sie nur, es sei einfach mit ihr und mit ihm zeitgleich vorbei gewesen.
    Lange hatte ich darüber nachgedacht, was auf der Brücke vorgefallen war. Irgendwann war es zu spät, Hiromi von Arik und jener Nacht zu erzählen. Auch Nadeshda wollte ich keine Einzelheiten offenbaren, tischte ihr aber eine harmlosere Variante der Geschichte auf, in der Ariks Lust wichtiger war als seine Grobheit, und die in mir entstandene Unsicherheit erwähnte ich gar nicht. Ich glaube, ich nannte ihr anfangs nicht einmal seinen Namen. Dann nahm ich sie eines Tages zu ihm mit. Wahrscheinlich glaubte ich, dass Arik mich wieder treffen, mich wieder, und dieses Mal ganz bestimmt zärtlich anfassen, mich verstehen und wieder umarmen würde, wenn sie mitkäme. Dann würde er sehen, dass ich nicht allein in dieser Stadt lebte, dass ich andere Menschen kannte, andere Menschen mich liebten und ich nicht nur ihn hatte, der mich einfach in ein Taxi gesteckt und von sich geschoben hatte, wohl um mich zu vergessen. Wir mussten nur wieder, sagte ich mir, miteinander sprechen, dann konnten wir auch endlich das Missverständnis ausräumen.
    Nadeshda und ich verabredeten uns, aus verschiedenen Richtungen der Stadt kommend, an einer Métrostation. Wir fuhren bis zur Place d’Italie und klingelten bei Arik in der rue Fagon. Erst als wir vor seiner Tür standen, bemerkten wir, dass wir beide dunkelblaue Seidenblusen trugen. Sie hatten fast den gleichen Schnitt. An der Tür gab mir Arik einen Kuss auf die Stirn, warf einen neugierigen Blick auf Nadeshda und machte uns Tee, bevor er uns in unseren Blusen malte. Wir mussten uns mit dem Rücken zu ihm auf Holzstühle setzen und uns dabei an den Händen halten. Wir taten das, ohne nachzudenken, kichernd und kindisch. Bald schon bat er uns, die Blusen auszuziehen. Wieder malte er uns, unsere nackten Rücken, die nackten Schultern, Nadeshdas kleine Muttermale, die ich bei dieser Gelegenheit zum ersten Mal sah. Diese winzige Milchstraße aus Muttermalen schmückte ihren schönen weißen Hals besser als jede Kette. Es war lange Zeit still hinter uns. Malte Arik uns überhaupt? Oder sah er uns nur an? Sollten wir uns umdrehen? Ich schaute auf unsere blauen Blusen, sie lagen auf dem Boden, und als ich, einem ersten Impuls nachgebend, aufstehen wollte, spürte ich einen leichten Schwindel. Ich schloss die Augen, atmete mehrmals ein und aus. Das Schwindelgefühl und der Druck in meiner Brust blieben. Es fühlte sich an, als würde sich mein Atem neue Wege suchen. In meiner Brust verkrampfte sich etwas, ich fühlte mich eingesperrt. Platzmangel. Luftnot. Atmen, ich musste doch durchatmen können. Nein, es ging nicht, es tat weh, ich verspürte Stiche, kleine Blitze, die Atemzug für Atemzug immer schneller, immer schärfer wurden. Ich wollte nicht mehr dort sitzen, wusste aber nicht, ob ich einfach aufstehen, mich anziehen und verschwinden sollte oder ob er eine Erklärung verlangen würde, wenn er meine Absicht bemerkte, ihm und seinen uns sezierenden Blicken zu entkommen.
    Eine Mischung aus Angst und Unruhe erlaubte es mir schließlich, mich aus der Pose zu lösen. Halb nackt saß ich mit Nadeshda vor einem Mann, den ich kaum kannte. Wir hatten ihm beide gehorcht, reflexartig waren wir seinen Aufforderungen gefolgt. Nichts kam mir jetzt, da ich aufstehen wollte, verstörender vor als das. Die Unheimlichkeit, die von Arik, von seinem Atelier und der Situation mit Nadeshda in diesem Moment ausging, wurde mir schlagartig bewusst. Seine Aura hatte uns erst eine Viertelstunde zuvor blind für uns selbst gemacht. Ich zog mich schnell an. Ende der Sitzung, sagte ich, ich muss einen Kaffee trinken. Nadeshda zog sich ebenfalls an, und hektisch verabschiedeten wir uns von Arik. An der Tür zwinkerte er uns auf eine Weise zu, als würden wir drei uns alle schon sehr lange kennen. An der Schwelle seiner Wohnung war mir einen Moment lang übel. Ich war froh, dass Nadeshda bei mir war, dass wir jetzt zu zweit fortgehen konnten, und hielt mich an ihrem Arm fest. Schweigend gingen wir zu Hiromi. In ihrer bewährten Ruhe kochte sie für uns und stellte Nadeshda unzählige Fragen. Sie musste ihr alles zur Physik beantworten, es ging um Einstein, Atome, chemische Bindungen, Ionenfallen, es war ein wildes Durcheinander von Fragen und Antworten, während Misosuppe, Sobanudeln und Tofu auf den Tisch wanderten. Wir saßen bis spät in der Küche, am Fenster, redeten und beschlossen irgendwann in den Untiefen der Nacht,

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