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Kirschholz und alte Gefühle: Roman (German Edition)

Kirschholz und alte Gefühle: Roman (German Edition)

Titel: Kirschholz und alte Gefühle: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marica Bodrožić
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Leute aus der Nachbarschaft kennen.
    Wir nannten den Hund Gustave und er war klein und schwarz und schön wie ein vollkommener Knopf. Wir aßen Muscheln und gingen stundenlang mit Gustave spazieren. Ich las von morgens bis abends Bücher. Wir ließen einige unserer Sachen in der Bretagne. An die Universität ging ich schon lange nicht mehr regelmäßig. Hiromi sah ich, wenn ich in Paris war, in den Seminaren und nachts brachte sie mir noch immer alles bei, was sie an den Nachmittagen in der Modeschule lernte. Ich war sehr gerne ihre Schülerin.
    Wenn Arik und ich am Meer waren, sprang seine Nähe fast immer in sofortige Zärtlichkeit über. Er ging einkaufen, brachte frische Pasta, Karotten, Zwiebeln und Muscheln mit, und wir blieben den ganzen Abend auf dem Balkon und aßen, bis wir müde wurden. Manchmal ging ich morgens allein an den Strand, nahm Gustave mit, der die Wellen anbellte. Das Lachen und Laufen erschöpfte mich. Ich hinterließ Fußabdrücke im Sand und dachte an die Sommer in Istrien, an das einfache Glück, das einem nur Wasser und Sand schenken kann. Irgendwann fiel mir auf, dass ich zunahm. Arik sagte, wir behalten das Kind, es ist ein Meereskind, ein Kind der Bretagne. Er ging gleich los und kaufte alles für das Kind, den Kinderwagen, das Bett, die ersten Hosen. Dabei wussten wir nicht einmal, ob es ein Mädchen oder ein Junge werden und ob dieses Mal überhaupt alles gut gehen würde. Als Arik dann sogar mit Schuhen auftauchte, fiel mir die geschäftstüchtige Wahrsagerin jenes traurigen Tages an den Markthallen ein, die mir an die zweitausend Francs abgeluchst hatte. Es war das unverdaute Unglück von damals, das durch die Erinnerung an sie wieder in mich eintrat. Ich erzählte Arik von dem Briefumschlag, dem Geld und dem wilden Blick der Frau, die mich in nur wenigen Minuten paralysiert und wie eine Warze besprochen hatte. Sie hatte mir das Geld aus der Tasche gezogen und vorausgesagt, dass ich wieder schwanger werden und ein Mädchen bekommen würde. Er sah mich wütend an. Und wird es ein Mädchen?, fragte Arik ungehalten. Er war den ganzen Tag fort gewesen, wirkte jetzt teilnahmslos, erschlagen, als hätte er in diesem Moment zum ersten Mal verstanden, dass er wirklich Vater werden würde. Dass es einen anderen Menschen geben sollte, der es vor ihm gewusst hatte, nahm ihm auf eine rätselhafte Weise die Vitalität. Seine Begeisterung hatte sich in Luft aufgelöst. Er ließ den Kopf wie in Trauer fallen, auf eine Art, als hätte ihm die Wahrsagerin das Anrecht auf die Vaterschaft aberkannt. Ich hatte das Gefühl, im Wasser zu stehen und mich nicht mehr von der Stelle rühren zu können.
    Ich wusste nicht, wohin mit meinen Augen, da fiel mein Blick auf den Spiegel. Das Meer war in ihm zu sehen. Wir wollen es so sehr, dachte ich, wir wollen uns lieben, wir wollen, dass es gut wird, dass wir uns endlich Liebende nennen können, nicht nur vor den Anderen, sondern auch vor uns selbst. Arik fuhr abrupt zurück nach Paris und nahm, ohne mich zu fragen, Gustave mit.
    Ich blieb am Meer. Als ich einige Tage später an die Place Dauphine kam, war Arik nicht da. Er hatte mir auch keine Nachricht hinterlassen. Ich ging zu Hiromi und erzählte ihr wieder keine Einzelheiten, nur dass Arik den Hund mitgenommen hatte, wahrscheinlich auf eine Reise, erwähnte ich. Hiromi packte einen Stoff mit einem Vogelmuster aus und sagte, ich nähe dir ein Kleid mit winzigen Schwalben. Auf den ersten Blick sah das Muster wie ein bewegtes Meer aus. Es wurde ein sehr schönes Kleid, anfangs war es viel zu weit für mich. Aber nach zwei, drei Monaten passte es perfekt und noch heute kann ich es mit einem Gürtel tragen. Wo ist Nadeshda, fragte ich und Hiromi sagte, sie sei für ihr neues Buch zu einer Recherche aufgebrochen, Chicago sei der letzte Ort gewesen, von wo sie sich gemeldet habe, nun sei sie wohl auf dem Weg nach Bakersfield, Kalifornien.
    Hiromi und ich gingen fast jeden Tag in das kleine Restaurant zu Sophie, und Mischa Weisband kam mit seiner Dora dazu. Von Arik keine Spur. Nach zwei Wochen rief er an, er klang nahezu fröhlich. Er war in Norwegen. Es gehe ihm gut, meinte er, Wandern sei das Beste für ihn. Das ist mein Sport, sagte er, ich bin stundenlang immer nur gegangen. Es sei schön gewesen, an die eigenen Grenzen zu kommen und müde zu werden. Wirklich müde, Arjeta, verstehst du? Ich sagte, ja, sagte zwei Mal, dass ich das verstehe. Am folgenden Tag trafen wir uns in einem Café in der rue Bonaparte und

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