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Kirschholz und alte Gefühle: Roman (German Edition)

Kirschholz und alte Gefühle: Roman (German Edition)

Titel: Kirschholz und alte Gefühle: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marica Bodrožić
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denn jetzt noch antifaschistische Denkmäler, sagten sie und schrieben es auch in ihren Zeitungen, jetzt, da endlich bei ihnen in ihrem freien stolzen Land der Tourismus so herrlich florierte! Unser Meer ist das schönste! Unsere Berge! Unsere Wiesen! Unsere Täler! Alles ist so einzigartig! Was für eine sentimentale Idee ist denn das eigentlich, am Alten festhalten zu wollen, wo die ganze Welt unser Meer sehen will! Unsere Berge! Unsere Wiesen! Unsere Täler! – Die Gedenkstätten waren doch nichts anderes als lästig und überflüssig, diese alten Steine sahen außerdem überhaupt nicht mehr modern aus. Es machte Spaß, für das Neue zu kämpfen! Her mit dem Modernen! Weg mit dem Alten! Weg mit dem Zeug von früher! Weg mit dem Überflüssigen! Ein Dorn im Auge des frei atmenden Betrachters muss immer und zu allen und besonders in Neuen Zeiten entfernt werden. Was also taten sie? Sie setzten sich zusammen, ein Ratschlag aus dem einen Mund folgte dem Ratschlag aus einem anderen und dann gingen sie im ganzen Land los, im Norden und im Süden, im Westen und im Osten – Rat an Rat, Schlag an Schlag, Fackel an Fackel, alle stramm nebeneinander, zuerst nachts, um die unförmigen Gebilde aus alten Zeiten dem Erdboden gleichzumachen. Aber den Schutz der Dunkelheit brauchten sie schon bald nicht mehr, das fanden sie irgendwann überflüssig, sie wollten erkannt werden und verabredeten sich für weitere Aktionen gleich nach dem Frühstück, am helllichten Tag. Scheißfackeln, verfickt noch mal, sagte einer von ihnen, gehen ja doch aus in der Scheißnacht. Und dann hielt der schnell erwählte Anführer untertags himmelgroße Reden. Die anderen nickten. Betäubt von einem seltsamen Vorgeschmack auf ihre Freiheit, überwältigt vom Gefühl, Herr über Feuer und Erinnerung zu sein, stimmten sie ihm zu, ja, einen solchen Redner brauchten sie jetzt, Redner, die hatten Konjunktur, was für eine Zeit, in allem so ein herrliches Florieren. Sie waren, kurzum, beglückt und begeistert. Ob jemand für die Denkmäler war oder nicht, wurde vor Ort nicht mehr gefragt. Gesucht und gebraucht wurden nur Gegner, und wenn sie sich trafen, waren sie glückbeschwingt und sich in allem einig. So beflügelnd war das Leben für sie noch nie. Wer für die Denkmäler war, der war für die Vergangenheit. Und wer für die Vergangenheit war, hatte offenbar nicht verstanden, dass in der Gegenwart ganz andere Dinge wichtig waren, es das alte Land nicht mehr gab. Na, was denn, sagte man einem alten Mütterchen, als es von der Rettung einiger tausend gefangener Kinder im Zweiten Weltkrieg erzählte. Du blöde alte Frau, bleib uns weg mit deinen Partisanen! Als die alte Frau sagte, die Kinder wären doch sonst alle gestorben, Kinder sind Kinder, egal, wer sie zur Welt gebracht hat, sagte Mateo zu ihr, ach ich fick eure Partisanen in den Arsch. Ein Sprachreiniger, sagte meine Mutter, ist er geworden, wie man ihn sich in der neuen Zeit vorstellt. Sie war da, die neue Zeit, angebrochen, eine Sonne in ihren Händen, sie sollte scheinen, hoch und hell, dem Leben, das gut und gerecht war, zu Diensten stehen.
    Meine Mutter war beim Erzählen aufgestanden und hatte sich ans Fenster gestellt. Sie sah immer noch rauchend auf den Hof hinaus. Sie weinte nicht, das wusste ich, obwohl sie mir den Rücken zugekehrt hatte, aber die Geschichten, die sie Nadeshda und mir erzählte, nahmen sie sehr mit. Ich glaube, sie zitterte, und wir ließen sie in Ruhe, hofften, dass sie sich bald wieder zu uns setzen würde.
    Von Onkel Milan hörten wir nichts, er schwieg sich dazu aus und schien mit der Vergangenheit abgeschlossen zu haben. Meine Mutter hatte vor ihrem Besuch in Berlin von Tante Mila erfahren, dass der Club der Visionäre, vertreten durch Zoki Zaritsch, eine Presse-Erklärung abgegeben hatte. Sie könnten sich nicht mit der Zerstörung der Denkmäler einverstanden erklären. Und verurteilten die Täter. Zoki Zaritsch behauptete, dass der Club gerne die Denkmäler gepflegt und gerettet hätte. Aber von Paris aus war das schwer zu bewerkstelligen. Sie wollten wenigstens aus der Ferne ihre Stimme erheben. Nadeshda und ich stellten uns die lautstarke Truppe am Tresen jenes Cafés vor, in das wir auf der Suche nach einem guten Kaffee hineingeraten waren. Und wir dachten an Zoki Zaritsch mit seinem alten Pioniersmützchen auf dem Kopf, überzeugt von jedem Wort, von allen seinen Idealen.
    Meine Mutter tat alles, um nicht über sich selbst sprechen zu müssen. Sie hatte die

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