Kirschroter Sommer (German Edition)
sie immer wieder nach.
Ich räusperte mich und entzog ihm meine Hand. »Das Brennholz war widerspenstig.«
Er lächelte. »Du musst wirklich besser auf dich aufpassen, Emely.«
Ich nickte und blickte zur Seite. Meine Gedankenwelt hatte mich viel zu labil gestimmt. Wahrscheinlich würde ein Blick in seine Augen meinen Untergang bedeuten, würde mir den letzten Stoß geben, den ich diesem Moment brauchte, um von der Klippe zu stürzen. Ich würde unaufhaltsam in ihnen versinken und er würde mich innerhalb von einer Sekunde so willenlos machen, dass er alles mit mir tun könnte, was er wollte.
Was ein paar Atemzüge später passierte, rettete mir wohl das Leben. Ich spürte Wassertropfen auf meine Haut treffen. Zuerst nur vereinzelt, doch schon bald gewann der Regen an Stärke. Mein Schicksal hatte bei mir einiges gut zu machen und ganz dem Anschein nach fing es gerade damit an.
»Mist«, hörte ich Andy sagen.
»Der Ghettoblaster!«, stellte Sebastian fest. Er hievte sich nach oben, zog seine Jacke aus und legte sie über das Gerät. Als er sich mit diesem bereits auf den Weg zum Auto begab, rappelten auch wir anderen uns auf. »Verflucht, die ganzen Decken werden nass!«, rief Sophie und machte sich sofort daran, eine nach der anderen aufzusammeln. Während Elyas nur herumstand und seufzte, griff ich nach einem der bereitgestellten Wassereimer und schüttete den Inhalt über das Feuer. Nach vier weiteren Eimern war es erloschen und beißender, weißer Rauch stieg auf. Sophie und Andy rannten voll bepackt Richtung Zelte. Sebastian kam zurück, hob die letzte verbliebene Decke auf und hielt sie über sich und seine Freundin. Ich blickte mich um, ob noch irgendetwas zum Retten herumlag, aber außer Getränkeflaschen und Bierdosen war bereits alles in Sicherheit gebracht. »Also dann, Elyas, gute Nacht«, rief ich ihm zu, schob mir meine Kapuze über den Kopf und rannte los.
Vor meinem Zelt standen Alex und Sebastian und verabschiedeten sich offenbar für die nächsten zehn Jahre. Ich schlängelte mich an ihnen vorbei und kroch ins Zelt. Meine Haare tropften und meine Klamotten waren ganz klamm. Ich zog meine Jeans aus, öffnete den Rucksack und holte meine Schlafhose hervor. An ein Oberteil zum Wechseln hatte ich leider nicht gedacht. Ich schlüpfte in die Hose und wartete, bis Alex nach einer gefühlten Ewigkeit endlich den Weg zu mir ins Zelt fand.
»Hast du einen dünnen Pullover oder ein T-Shirt für mich?«, fragte ich sie. Im Gegensatz zu mir führte Alex eine voll bepackte Reisetasche mit sich.
»Klar«, sagte sie, öffnete den Reißverschluss und wuselte eine Weile in der Tasche herum. »Guck mal, das müsste passen.« Sie hielt mir ein schwarzes Sweatshirt entgegen, das ich mir sogleich überstreifte.
»Das ist super. Danke schön.«
Sie rümpfte die Nase. »Und du hast dich heute Nachmittag noch über mein Gepäck lustig gemacht.«
Ich schmunzelte. »Ja, weil wir nur für eine Nacht wegbleiben, und nicht für zwei Monate.«
»Ich bin eben für jeden Fall gerüstet. Und du profitierst gerade davon.« Sie reckte ihr Kinn und begann ebenfalls, sich umzuziehen. Als sie damit fertig war und in einem hellblauen Seidenschlafanzug vor mir saß, schwieg sie für einen ungewöhnlich langen Moment.
»Was ist denn?«
Sie atmete schwer. »Ich vermisse Sebastian.«
»Ihr seid gerade mal zehn Minuten voneinander getrennt.«
»Ja, soooo lange.« Sie stützte ihr Kinn in die Hände.
»Alex, du siehst ihn doch in ein paar Stunden wieder.« Ich rollte meinen Schlafsack auf, öffnete ihn und krabbelte hinein.
»Aber ich halte es keine einzige Minute ohne ihn aus. Wir konnten uns noch nicht mal richtig Gute Nacht sagen …«, murmelte sie.
»Ihr standet mindestens zehn Minuten da draußen!«
»Aber es war trotzdem so abrupt. Blöder Regen.«
Nein, ganz und gar nicht. Guter Regen!
Alex tat es mir nach und kroch ebenfalls in ihren Schlafsack. Kaum war das Rascheln verstummt, erhellte ein elektronisches Piepsen das Zelt. Ich wollte schon nach meinem Handy greifen, da kam mir Alex mit einem Quietschen zuvor. »Es ist von Sebastian!« Sie drückte sich förmlich die Nase an ihrem Display platt. Ich ließ mich zurück auf den Rücken sinken.
»Er ist soooo süß, Emely. Hast du eine Ahnung, wie süß er ist?« Sie hielt das kleine Gerät an ihr Herz, und ich schüttelte den Kopf. »Warte, das muss ich dir unbedingt vorlesen!« Sie setzte sich in den Schneidersitz. » Weißt du, wie kalt mir ist, seitdem du weg
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