Kirschroter Sommer (German Edition)
stattdessen weiterhin um Luca drehen. Hatte ich schon erwähnt, dass mir allein von der Vorstellung, ich würde ihm gegenübertreten, das Herz in die Hose, um nicht zu sagen in die Schuhe, rutschte?
Meine Träumereien fanden ein schnelleres Ende, als mir lieb war, denn urplötzlich spürte ich einen Windhauch in meinen Haaren. Noch ehe ich wusste, wie mir geschah, hörte ich ein leises »Buh« hinter mir.
Ich zuckte zusammen und fuhr herum, nur um fassungslos festzustellen, dass Elyas einen Platz versetzt nach rechts hinter mir saß und mich mit einem Glänzen in den Augen anlächelte.
Ich starrte ihn an. Was in meinem verdammten Leben hatte ich verbrochen?
Elyas verkreuzte die Arme auf dem Tisch und bettete seinen leicht seitlich geneigten Kopf darauf, damit er mich mit seinen Biowaffenaugen bestens im Blick hatte.
»Was willst du hier?«, zischte ich leise und wandte meinen Blick wieder nach vorne.
»Ich besuche dich in einer Vorlesung.«
»Wie wäre es, wenn du stattdessen deine eigenen Vorlesungen besuchst?«
»Hatte ich eigentlich auch vor«, seufzte er, »aber dann habe ich dich so schrecklich vermisst.«
Böse spähte ich über die Schulter und erntete ein charmantes Lächeln von ihm. Was für ein Blödmann!
Ich drehte mich wieder nach vorne. »Du bist wie Zucker, Elyas«, grummelte ich.
»Süß?« Seine Stimme klang freudig überrascht.
»Nein, klebrig!«, giftete ich und beendete somit das Gespräch.
War ich denn jetzt nicht mal mehr in meinen Vorlesungen vor ihm sicher? Wie dreist konnte ein Mensch sein?
Als ich langsam wieder versuchte mich auf den Professor zu konzentrieren, fühlte ich auf einmal Elyas‘ Finger an meiner Schulter. Wie vom Blitz getroffen fuhr ich herum.
»Da war ein Haar«, erklärte er.
»Und wenn da eine verdammte Klapperschlange gewesen wäre, das gibt dir noch lange nicht das Recht, mich anzutatschen!«, fauchte ich, drehte mich erneut von ihm weg, sah aber gerade noch im Augenwinkel, wie er eine beschwichtigende Geste mit den Händen machte und schmunzelte.
Die große Uhr über dem Rednerpult sagte mir, dass ich noch zwanzig Minuten durchhalten musste. Zwanzig Minuten, oder besser gesagt eintausendzweihundert schreckliche Sekunden, in denen ich ununterbrochen seinen Blick im Nacken spüren würde.
Das konnte ja heiter werden.
Weshalb nur ließ er mich nicht einfach in Ruhe? Immerhin beruhten sämtliche Signale, die ich ihm sendete, auf deutlicher Abneigung, was selbst so einem unsensiblen Menschen wie Elyas auffallen müsste. Wahrscheinlich aber merkte er das sehr wohl, nur interessierte es ihn einfach nicht.
Eintausendeinhundertzwölf, eintausendeinhundertelf, eintausendeinhundertzehn, eintausendeinhundertneun, eintausendeinhundertacht, eintausendeinhundertsieben, eintausendeinhundertsechs …
Elyas schaffte es zwar sagenhafterweise den Mund zu halten, trotzdem lenkte mich seine bloße Anwesenheit so sehr ab, dass ich rein gar nichts mehr von der Vorlesung mitbekam. Ich wippte mit dem rechten Bein ununterbrochen auf und ab und knirschte mit den Zähnen, bis ich die restliche Zeit endlich überstanden hatte.
Kaum hatte der Professor sein Schlusswort gesprochen, packte ich eilig meine Unterlagen zusammen und verstaute sie in meiner Messenger-Bag, die ich mir anschließend umstreifte. Dann stand ich auf und bahnte mir einen Weg durch meine Sitzreihe. Blöderweise erkannte ich aber im Augenwinkel, dass Elyas hinter mir das Gleiche tat. Bereits im Mittelgang trafen wir aufeinander und er hängte sich amüsiert an meine Fersen. Ich verdrehte die Augen.
Weil alle Studenten gleichzeitig nach draußen wollten, kamen wir nur langsam voran. Erst als wir die großen Türen zum Flur passiert hatten, teilte sich die Menschenmenge allmählich in verschiedene Richtungen auf.
»Und was machen wir jetzt?«, fragte Elyas vorfreudig.
Dicht von ihm gefolgt, bog ich schnellen Schrittes in den beinah menschenleeren Ostflügel. » Ich gehe in mein Zimmer«, antwortete ich. »Was du machst, ist mir herzlich egal.«
Er grinste verwegen. »Somit wäre also die Frage, ob wir zu dir oder zu mir gehen, auch geklärt.«
Und in diesem Moment lief das Fass endgültig über. Mir platzte regelrecht der Kragen. Mit geballten Fäusten blieb ich vor Elyas, dem ich gerade mal bis zur Brust ging, stehen und bluffte ihn an. »Was soll das?«
Er wich einen Schritt zurück und blinzelte. »Was meinst du?«
»Ich verstehe es einfach nicht!«, gestikulierte ich. »Warum strengst du dich so
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