Kismet Knight – Vampire lieben länger / Roman
als ein anderer junger Leichnam in meiner vorherigen Praxis gelegen hatte, gleichfalls von einem Vampir gemeuchelt. Ich drückte meine Hand auf Mund und Nase, um die Atemluft wenigstens etwas zu filtern.
Devereux hatte uns neben meinen Schreibtisch befördert, wo wir nicht direkt in den blutigen Resten standen und die Zerstörung aus der Vogelperspektive betrachteten. Er ließ mich los und machte einen Schritt nach vorn, um sich das Blutbad genauer anzusehen. Dabei war er befremdlich ruhig. Nach einigen stummen Minuten wandte er sich wieder zu mir. Seine sonst so betörende Stimme klang matt und tonlos.
»Du hast recht: Unsere Rituale sind sinnlos. Bis Hallow vernichtet ist, wirst du keinen Moment mehr allein sein. Ich verlasse mich nicht mehr nur auf magische oder Vampirkräfte. Jetzt gilt es: meine Willenskraft gegen seine.« Gedankenverloren blickte er wieder auf den Toten.
Sein pessimistischer, beinahe hoffnungsloser Tonfall ängstigte mich. Ohne es mir einzugestehen, hatte ich wohl die ganze Zeit geglaubt, dass er gewinnen würde, dass er irgendwie den Wahnsinnigen besiegen und mein normales Leben wiederherstellen würde. Aber sein Tonfall drückte etwas anderes aus. Vielleicht war er sich nicht mehr sicher, dass er den Irren bezwingen konnte. Oder aber er war zu dem Schluss gekommen, dass ich den ganzen Ärger nicht lohnte. Was, wenn Hallow mich wirklich entführen konnte? Hatten mich alle bisherigen Entscheidungen in meinem Leben an diese finstere Kreuzung geführt?
Was hätte ich anders machen sollen? Als Erstes drängten sich Zweifel auf, was meine Kontakte zur verborgenen Welt der Vampire betraf. In dem Moment, in dem ich die Konsequenzen meiner neuen Berufswahl erkannt hatte, hätte ich den Laden dichtmachen und wegziehen müssen. Mein Leben war sehr viel einfacher gewesen – von sicherer ganz zu schweigen –, bevor ich in Draculas Burg gestolpert war.
Aber das war alles Blut von gestern.
Devereux strich mir mit seinem Finger über die Wange, so dass ich ihn ansah. »Ich kann deine Angst spüren. Aber ich schwöre dir, dass dir nichts geschehen wird. Wir finden einen Weg, Hallow zu zerstören!« Da war wieder der samtige Ton in seiner Stimme, der meine Furcht milderte. Er wies auf Jeromes Körper. »Dein Klient muss ein relativ junger Vampir gewesen sein, dass sein Leib nicht sofort zu Staub zerfiel, als Hallow ihn köpfte. Er wird erst im Laufe der nächsten paar Stunden verfallen, statt im Augenblick des Todes. Je älter ein Vampir, umso rascher zersetzt sich der Leichnam. Wenn du genauer hinsiehst, kannst du sehen, dass es schon beginnt.«
Ich folgte seinem Finger zu der grauen Substanz, die sich an Jeromes Füßen sammelte, und schüttelte den Kopf. Devereux war hervorragend darin, das Thema zu wechseln, um mich von unangenehmen Gefühlen abzulenken. Es tat wohl, zu wissen, wie gut er mich kannte. Solange ich etwas Logisches hatte, hinter dem ich mich verschanzen konnte – meinen Grips anstrengen durfte –, konnte ich zumindest den Anschein von Gefasstheit wahren. Okay. Wir hätten neben Jeromes Überresten stehen und die Mechanismen vampirischer Verwesung besprechen können, als handelte es sich um ein Seminarthema. Im Leugnen machte mir so schnell niemand etwas vor. Doch leider hätte ich mich wohl nie mit der kalten, berechnend analytischen Einstellung arrangieren können, welche die meisten Vampire gegenüber dem Tod pflegten. Sie maßen Leben jedweder Form wenig Wert bei. Devereux ging offener mit seinen Gefühlen um als jeder andere Mann – ob lebendig oder untot –, den ich kannte, doch selbst er war imstande, sie zeitweise willentlich abzustellen.
»Das wusste ich nicht. Der einzige andere Vampir, den ich sterben sah, war Bryce, nachdem ich ihm den Kopf abgeschlagen hatte. Er zerfiel gleich zu Staub.«
»Ja, kann ich mir denken«, stimmte Devereux nickend zu. »Er war sehr alt.«
Ich blickte mich im Zimmer um. Blutspritzer verunstalteten die Wände und die Decke. »Was soll ich wegen dem armen Jerome und dem ruinierten Teppich unternehmen? Gibt es jemanden, den ich anrufen kann?«
Bei diesem Gedanken fiel mir ein, dass ich in Jeromes Akte nachsehen sollte, ob er Verwandte oder Freunde hatte, die ich informieren musste. Ich hatte noch nie einen Vampirklienten verloren und war nicht sicher, was die Etikette in diesem Fall vorsah. »Können wir etwas für Jerome tun? Eine Trauerfeier abhalten oder so?«
Devereux sah mich nachdenklich an. »Wozu eine Trauerfeier? Er war tot,
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