Kismet Knight
identifizieren.
Unter der Tür lag ein schlanker junger Mann. Er war kreideweiß, unverkennbar nicht mehr am Leben und blutüberströmt.
Ich musste annehmen, dass er schon seit mehreren Stunden hier lag.
Ich stieß die Tür entsetzt von ihm herunter und fuhr zusammen, als sie dabei ein noch aufrecht stehendes Tischchen rammte. Eine Lampe, die die Verwüstung aus irgendeinem Grund überstanden hatte, krachte auf den Boden.
Ich starrte immer noch auf den unbekannten jungen Mann hinunter, als ich hinter mir jemanden keuchen hörte.
»Dr. Knight! Was ist los? Alles okay mit Ihnen? Oh Gott, das ist Eric!«
Ich fuhr so schnell herum, dass ich das Gleichgewicht verlor und hart auf dem Hintern landete, in einer Pfütze aus dick geronnenem Blut.
Midnight und Ronald hatten einen weiteren gemeinsamen Termin ausgemacht, und sie waren pünktlich auf die Minute eingetroffen.
Ein paar endlose Sekunden lang starrten wir drei uns an; dann ging Ronald ein paar Schritte auf mich zu und streckte mir die Hand hin.
»Darf ich Ihnen aufhelfen, Dr. Knight?«
Midnight hatte beide Hände vor den Mund geschlagen und stand wie erstarrt mit aufgerissenen Augen dabei.
Ich nahm Ronalds Hilfe an, um auf die Füße zu kommen,und brachte etwas Abstand zwischen mich und den jungen Mann, den Midnight als Eric identifiziert hatte – den »Lehrling«, der die winzigen Messer für den Austausch von Blut konstruiert hatte.
Nachdem er mich auf die Beine gezogen hatte, kehrte Ronald zu Midnight zurück. Er legte einen Arm um sie und strich ihr übers Haar, aber sie reagierte nicht.
Ich bemerkte, dass sie am ganzen Körper leicht zitterte. Eins der Symptome von einsetzendem Schock.
»Ronald, würdest du Midnight bitte nach draußen in den Gang helfen? Ich muss auch hier raus und ein paar Telefonate erledigen.«
Ich versuchte, meine Stimme so ruhig und normal zu halten wie möglich.
Er verstand – auch das, was ich nicht gesagt hatte –, nickte und schob Midnight behutsam in Richtung Tür, die Hände um ihre Schultern geschlossen, damit sie in dem Chaos auf dem Fußboden nicht stolperte oder ausrutschte.
Als sie die Leiche ihres Freundes nicht mehr unmittelbar vor Augen hatte, nahm sie die Hände vom Mund fort und begann, lautlos zu weinen, den Kopf an Ronalds Schulter gelegt.
Ich ließ die beiden lange genug allein, um nach meiner Handtasche zu greifen und das Handy herauszuholen. Der Ausdruck auf ihren entsetzten jungen Gesichtern war herzzerreißend, und ich wünschte, sie wären nicht so pünktlich zu ihrem Termin aufgetaucht. Dann hätte ich sie im Gang abfangen können, statt ihnen noch mehr von diesem kranken, sadistischen Wahnsinn zuzumuten.
Aber keinem von uns war damit gedient, dass ich mir überlegte, wie die Dinge hätten verlaufen sollen. Ich ging wieder zu ihnen hinüber und legte Midnight eine Hand auf den Arm.
»Es tut mir leid, Midnight. Aber die Polizei wird mit dir und Ronald reden wollen, weil ihr Eric gekannt habt. Wollt ihr euch nicht hinsetzen und ein bisschen ausruhen, bis sie kommen?«
Sie nickten beide und setzten sich im Hausflur auf den Fußboden.
Ich lehnte mich an die Wand, schloss die Augen und nahm mir einen Moment Zeit, um Ordnung in meine Empfindungen zu bringen.
Merkwürdigerweise fühlte ich mich weder verängstigt noch verstört – ich war ruhig. Ich war zuvor davon ausgegangen, dass all die fürchterlichen Vorfälle – Emerald Addisons Tod, meine Entführung und alles andere – in einem Zusammenhang mit der möchtegernvampirischen Szene standen. Jetzt begann ich allmählich zu glauben, dass tatsächlich übernatürliche Kräfte am Werk sein könnten. Und es war offensichtlich, dass vampirische Anliegen etwas mit alldem zu tun hatten. Aber nichtsdestoweniger bedeutete es geradezu eine Erleichterung festzustellen, dass ich es hier mit einem ganz normalen Psychopathen zu tun hatte. Fraglos war dieser Killer als Kind misshandelt worden und trug zudem religiös begründete Schuld- und Schamgefühle mit sich herum. Ich hätte darauf wetten können, dass er außerdem nicht allzu viel von Frauen hielt. Ein Klassiker. Wie aus dem Handbuch. Ein traumatisiertes, geistig gestörtes Kind, das seine Probleme auf die denkbar scheußlichste Art auslebte.
Das nun war etwas, mit dem ich umgehen konnte.
Und wie praktisch, dass er ein persönliches Interesse an mir entwickelt zu haben schien!
Ich ging den Gang entlang zum Aufzug und wählte dabei die 911 auf dem Handy. Ich erklärte, dass ich in meiner
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