Kissed by Darkness
wirklich nicht mit Streiten verbringen. Außerdem musste ich darüber nachdenken, warum Darroch dem mächtigsten Vampir der Stadt Befehle gab. Und was noch wichtiger war, warum Kaldan sie auch noch annahm. Und was das alles mit mir zu tun hatte.
Meine Knöchel wurden weiß, als ich die glatte Brüstung umklammerte und auf die funkelnde Stadt unter mir blickte. Die Spitze der Großen Freiheit, des größten Bauwerks der Welt, glühte rot und golden in der Nachmittagssonne. Der Dom der Erleuchtung glitzerte blau und silbern und lockte alle, die ihn sahen, einzutreten und an seiner Würde teilzuhaben.
Seit Jahrtausenden stand die Stadt bereits, zuerst auf unserem Heimatstern, dann, nachdem unsere Sonne gestorben war, hier auf diesem schönen, neuen Planeten. Sie war ein Leuchtfeuer der Erkenntnis in einem unzivilisierten Universum, doch jetzt … Dies war also das Ende. Das Ende aller Dinge, sowohl für die Stadt als auch für das Volk von Atlantis.
Ich wandte mich ab und schritt zurück in den Tempel. Unter meinen Seidenschuhen fühlte sich der Marmorboden kalt an und die Roben wirbelten mir um die Knöchel. Etwas musste geschehen. Etwas würde geschehen. Den Schatz meines Volkes für eine zukünftige Generation zu retten war wichtiger als alles andere. Bestimmt gab es einen Weg, um das Überleben zu sichern? Einen Weg, diesen Wahnsinn aufzuhalten?
Verzweifelt lief ich auf und ab, ballte die Fäuste und wollte meinen zerrütteten Verstand dazu zwingen, mich beten zu lassen. Wie hätten wir ahnen können, dass ein geringfügiger Infekt die friedlichste Rasse dieses Planeten in seelenlose, blutrünstige Bestien verwandeln würde? In Raubtiere, die man weder heilen noch töten konnte? Wir würden die ganze Menschheit zerstören, wenn ich nichts dagegen unternahm. Dieses Paradies würde sich in Ödland verwandeln.
Es war nur eine Frage der Zeit, bis die Seuche auch den Tempel erreichte, Priester und Priesterinnen und schließlich auch die Königsfamilie unterwarf. Als der Hohepriester von Atlantis würde ich der Letzte sein, der fiel. Immerhin war ich der Stärkste, als Sprachrohr der Götter auserwählt. Jene Energie, die mich genauso durchströmte wie diese Stadt, würde mich beschützen. Eine Weile lang.
Mit zittriger Hand rieb ich mir das Gesicht. Was sollte ich nur tun? Wie sollte ich all das Gute in Atlantis retten? Wie sollte ich die letzten Überlebenden des atlantischen Volkes retten, die letzten unserer Art?
Da kam mir ein Gedanke. Vielleicht gab es ja doch noch eine letzte Möglichkeit. Mit frischer Entschlossenheit durchquerte ich den Raum.
»Schicke mir Varan.« Der junge Akolyth verneigte sich und eilte hinaus. Unsere einzige Chance waren die Mischlingskinder von Atlantis. Sie allein waren immun gegen die Seuche; sowohl gegen die Pestilenz, die reinblütige Atlanter in mörderische Raubtiere, die Ravener, verwandelte, als auch gegen die Nightwalker-Krankheit, der die reinblütigen Menschen zum Opfer fielen. Selbst unsere größten Gelehrten wussten nicht, woher die Seuche gekommen war oder warum die Mischlingskinder immun zu sein schienen, doch vielleicht lag darin der Schlüssel zu unserer Erlösung und derjenigen der Menschheit. Nur ein einziges Mitglied der Königsfamilie besaß sowohl Atlanter- als auch Menschenblut.
Meine Gedanken wurden unterbrochen, als ich eine Rüstung klingen hörte und den Duft frisch geölten Leders roch. Der Mann, der eintrat, war durch und durch ein Krieger. Seine Rüstung funkelte und glänzte und seine Augen leuchteten stets wachsam und zu allem entschlossen. Trotz seines jugendlichen Alters war Varan bereits erster Krieger unter allen Kriegerpriestern. Wahrhaft ein Sohn, auf den man stolz sein konnte. Und das war ich auch. Nur ihm würde ich die Zukunft der Königsfamilie und die Hoffnung unseres Volkes anvertrauen.
»Ah, Varan.« Ich lächelte dem jungen Krieger angestrengt zu. »Ich brauche dich und deine Männer.«
Varan verbeugte sich, den rechten Arm vor der Brust und die Faust auf dem Herzen. »Wie mein Herr wünscht, so soll es geschehen.« Dann ergriff er den Knauf seines blutbefleckten Schwertes.
Ich fuhr hoch. Helles Sonnenlicht erfüllte den Raum. Nicht schon wieder so ein verrückter Traum. Langsam häuften sie sich. Erst irgendein Typ, der im Dreck herumwühlte, und jetzt das.
Ich runzelte die Stirn. Der Kerl, der sich durch die Erde gegraben hatte, kam mir irgendwie vertraut vor. Nicht nur, weil ich im Traum er gewesen war – auch wenn das allein
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