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Kite

Kite

Titel: Kite Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Blake Crouch
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lauter Schimmel.
    Die Deckenverkleidungen fehlten und man konnte die alten Leitungsrohre sehen.
    Und dann war da noch etwas, das ich nicht richtig erkennen konnte, weil das Licht nicht so weit reichte.
    »Worauf warten Sie noch, Jack?«
    Ich trat über die Schwelle, blieb dann aber im Türrahmen stehen.
    »Hier ist kein Licht, Luther.«
    »Sie haben doch nicht etwa Angst?«
    Ich nahm meine ganze Willenskraft zusammen und machte entschlossen drei Schritte nach vorn, bis ich nichts mehr sehen konnte.
    Um mich herum gab es nur völlige Finsternis und völlige Stille.
    »Luther?«
    Er antwortete nicht.
    »Luther, ich kann überhaupt nichts sehen. Wo muss ich hin?«
    Ich wartete darauf, dass er mir antwortete und dass irgendwo ein Licht anging. Weder das eine noch das andere geschah.
    Ich spürte ein Stechen in der Brust.
    Ich rieb mir den Bauch und wiederholte in Gedanken folgendes Mantra:
Es ist alles Ordnung. Alles wird gut. Er will uns nicht töten. Er will uns nicht töten.
    Mir blieb nichts anderes übrig, als weiterzugehen.
    Langsam und vorsichtig.
    Einen Schritt nach dem anderen.
    Ich streckte die Hände aus, um nicht irgendwo anzustoßen.
    Nach zehn Schritten streifte ich mit der linken Hand eine Mauer. Ich hielt mich daran fest wie an einer Rettungsleine.
    »Luther, was soll das?«, fragte ich. »Was wollen Sie?«
    Anstatt einer Antwort hörte ich nur mein eigenes Echo.

Luther
    Er beobachtet sie durch ein Loch in der Wand. Das Nachtsichtgerät zeigt sie in einer Mischung aus Grau- und Grüntönen.
    Ihre Augen funkeln wie Smaragde.
    Er sieht, wie ihre Brust sich in der Dunkelheit hebt und senkt.
    Die Angst in ihrem Gesicht ist ausgeprägt und gleichzeitig schön.
    Bei einer früheren Gelegenheit – er hat so etwas schon ein paar Mal gemacht – brach eine Frau zusammen, blieb zusammengerollt liegen und schrie, bis sie ohnmächtig wurde.
    Jack wird so etwas nicht tun.
    Sicher, auch Jack hat Angst, aber sie hat ihre Angst unter Kontrolle.
    Er legt das Nachtsichtgerät beiseite, legt den Finger auf den Schalter und wartet.

Jack
    Ich blieb stehen.
    Einatmen, ausatmen. Einatmen, ausatmen.
    Mein Herzschlag normalisierte sich wieder.
    Ich dachte an Phin, Herb und Harry und vertrieb damit die Angst. In meiner Fantasie saß Phin mit mir auf dem Sofa, massierte meine geschwollenen Füße und erzählte mir eine Geschichte aus seiner Vergangenheit. Dabei hatte er dieses spitzbübische Grinsen im Gesicht, dem ich verfallen war, als wir das erste Mal zusammen Billard spielten. Ich stellte mir Herb vor, wie er mit Donut-Krümeln in seinem buschigen Schnauzbart vor mir stand und mir einredete, dass es diesmal mit seiner Diät klappen würde. Und ich hörte im Geist, wie Harry – dieser durchgeknallte, dumme, nervige und trotzdem wunderbare Mensch – mich dazu überreden wollte, meine Tochter nach irgendwelchen trendigen Cocktails zu benennen.
    Die Liebe und Zuneigung zu meinen Jungs trieb mich an.
    Zwei Schritte weiter lief ich plötzlich in etwas hinein und machte einen Satz zurück. Nur mit Mühe unterdrückte ich einen Aufschrei.
    Nein, ich war nicht gegen etwas gestoßen, sondern gegen
jemanden.
    Die weiche und von Stoff bedeckte Haut ließ keine andere Schlussfolgerung zu.
    »Luther? Sind Sie das?«
    Ich taumelte immer noch rückwärts und merkte auf einmal, dass meine Hand die Wand nicht mehr berührte.
    Plötzlich hatte ich die Orientierung verloren.
    Ich wollte mich auf dem Boden abstützen, um nicht hinzufallen, blieb dann aber in der Hocke sitzen.
    »Wer ist da?«
    Niemand antwortete.
    Mein Herzschlag klang wie eine Buschtrommel und übertönte alle anderen Geräusche.
    Als ich weitergehen wollte, stieß ich gegen eine Wand.
    Ich drehte mich um und machte einen Schritt nach vorn.
    Kaum hatte ich gedacht, dass ich zurück zur Doppeltür am Eingang unterwegs war, stieß ich wieder gegen jemanden. Ich stieß einen Schrei aus, und plötzlich begriff ich.
    Fäulnis … Verwesung.
    Bitte nicht.
    Für den Bruchteil einer Sekunde blitzte im Korridor ein grelles blaues Licht auf, und meine Knie zitterten vor Schreck.
    Etwa ein Dutzend Männer und Frauen hingen in durchsichtigen Plastiksäcken von der Decke und baumelten hin und her, die Zehen nur wenige Zentimeter über dem Boden.
    »Ist noch jemand am Leben?«
    Ich bekam keine Antwort. Dann blitzte das Stroboskoplicht erneut auf und ich konnte die Verletzungen durch die Plastiksäcke sehen – Schüsse und Messerstiche sowie stumpfe Gewalteinwirkungen am Kopf.

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