Klack: Roman (German Edition)
Mittagessen. »Jetzt hängen sie sogar schon ihre Wäsche im Garten auf.« Da Oma das Aufhängen von Unterwäsche im Garten für unmanierlich hielt, Oberbekleidung galt als akzeptabel, hängten wir unsere Unterwäsche in der Waschküche auf.
Ich trat ans Fenster, schaute in den Nachbargarten und sah die aufgespannte Leine mit den Wäschestücken. Hing da nicht sogar ein roter Schlüpfer? Ich holte die Kamera, ging nach draußen, drückte mich an der Hecke aus Beerensträuchern entlang, schlug mich in gebückter Haltung durch die Büsche, nahm die Wäscheleine ins Visier und legte den Finger auf den Auslöser. Hemden, Socken, Handtücher, Unterhemden, Pullis. Und nirgends ein roter Schlüpfer. Nicht einmal ein weißer. Nicht einmal eine Herrenunterhose. Den Schuss konnte ich mir sparen.
Ein dumpfer Knall! Atomschlag? Vor Schreck drückte ich auf den Auslöser.
Klack!
Eine der letzten Birnen, vielleicht die allerletzte, war aufs Dach des Eiswagens gedonnert.
Ich schlich über die unsichtbare Grenze zurück in den Westen auf unser Territorium und hatte ein schlechtes Gewissen. Irgendwie war das, was ich getan hatte, nicht erlaubt, gehörte sich nicht, war womöglich ungesetzlich. Wegen der Wäscheleine musste ich an eine Bemerkung denken, die Onkel Fritz mal gemacht hatte: In der Ostzone wird verhaftet, wer seine Wäsche bei Westwind trocknet.
7
Pongo, Perdi, Rocco Granata
Rocco Granata trägt ein dunkles Hemd mit hellem Kragen, das an ein Fußballtrikot erinnert, und für einen Fußballspieler wäre der Name Rocco Granata natürlich ideal gewesen. Welche Trikotfarben, die längst im ausgeblichenen Grau versunken sind, mögen es gewesen sein? Vielleicht Blau und Gelb? Oder Grün und Gelb? Der Hintergrund sieht aus wie eine Fototapete voller Rosen. Sie müssen rosa gewesen sein. Rocco Granata hat dunkles, locker gescheiteltes Haar ohne Pomadeglanz und lächelt offen und zahngesund. Er sieht gar nicht aus wie so mancher ölige Schlagersänger jener Jahre und schon gar nicht so, wie man beim Klang seines Namens befürchten müsste, sondern natürlich und intelligent – Schwiegermutters Liebling. Fünfundzwanzig Jahre später hätte vielleicht der kleine Enzo eine gewisse Ähnlichkeit mit ihm haben können.
Der Name stimmt natürlich misstrauisch, aber erstaunlicherweise ist Rocco Granata kein Künstlerpseudonym, sondern der amtliche Geburtsname des italienischen, in Belgien aufgewachsenen Sängers Rocco Granata, dessen Lied Marina zum Welterfolg wurde. Man glaubt es nicht.
Es ist wie mit der Fotografie, die nichts erfindet, sondern reine Bestätigung ist. Wenn Fotografie eine Botschaft vermitteln oder gar Kunst sein soll, bedarf es diverser Kunstgriffe, Tricks und Arrangements. Und dies Foto zeigt tatsächlich ein arrangiertes, so gut wie möglich ausgeleuchtetes Stillleben. Denn auf der Umschlaghülle der Platte liegt neben Rocco Granatas Stirn eine Eintrittskarte, die an der dreieckigen Perforierung abgerissen ist.
Klack!
Weil das Foto nicht bei Tageslicht entstand, ist die Schrift auf der Kinokarte nur mit einer Lupe zu entziffern: Wallstudio. Einheitspreis DM 1,–.
Den roten Schlüpfer hatte sie gar nicht zu Gesicht bekommen, sondern kannte das Corpus Delicti nur aus der Alarmmeldung meiner Mutter, aber Oma war über den Sittenverfall jenseits unserer Gartengrenze abgrundtief entrüstet. »Reizwäsche gehört sich nicht, nicht für anständige Frauen, für Mädchen schon gar nicht. Reizwäsche gehört ins, ins Bor–, ins Freuden–, ihr wisst, was ich meine. Und überhaupt, was sind das denn für windige Verhältnisse? Ein Mann und zwei Kinder, aber keine Frau? Wo geht dies leichte Mädchen eigentlich zur Schule? Bei Hanna aufs Lyzeum? Nein? Na also. Eine Eisdiele? Wer kommt denn auf die Schnapsidee, mitten im Winter eine Eisdiele zu eröffnen? Da ist doch was faul. Ich meine, in drei Wochen ist Weihnachten. Da kann man Glühwein verkaufen und Bratäpfel, aber doch kein Eis. Unverantwortlich ist das. Aber mich wundert schon gar nichts mehr. Ich habe vor einem Monat Adenauer doch nicht wieder gewählt, damit bei uns solche Sitten einreißen. Zwangs–, äh, ich meine Gastarbeiter braucht unser Land vielleicht, unsere Wirtschaft, aber nicht solche Zigeuner. Können die überhaupt Deutsch? Ihr wisst, dass ich keine Vorurteile habe, aber den Italienern ist nicht zu trauen. Das ist ein unzuverlässiges Volk. Mein armer, kleiner Eugen. Von der Schulbank in die Schlacht.« Oma schnappte nach Luft, und dann
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