Klack: Roman (German Edition)
seufzte sie schmerzlich.
»Also bitte«, sagte mein Vater, »in Monte Cassino stand unsere Wehrmacht den Amerikanern gegenüber, nicht den Italienern. Das hab ich dir schon mehrfach erklärt.«
»Wenn die Italiener uns nicht im Stich gelassen hätten, wäre es aber erst gar nicht so weit gekommen.« Oma hielt eisern die Stellung ihrer Unbelehrbarkeit. »Armer Eugen. Er war so ein zarter Junge, so musikalisch und –«
»Pst«, machte meine Mutter. »Tagesschau.«
Karl-Heinz Köpcke informierte uns sachlich und objektiv darüber, dass die neue Bundesregierung der Koalition aus CDU, CSU und FDP die Annahme eines Briefs der Regierung der sogenannten DDR verweigert habe, in dem die kommunistischen Machthaber Vorschläge über Gespräche zwischen beiden deutschen Staaten unterbreitet hätten.
»Das wäre ja auch noch schöner«, meinte mein Vater. »Zwei deutsche Staaten gibt es nicht. Darf es auch nie geben. Immerhinque haben wir ja auch noch eine gesamtdeutsche Olympiamannschaft, und –«
»Pst!«, machte meine Mutter.
Herr Köpcke sprach jetzt davon, dass im Schutz schwer bewaffneter Volkspolizei Bauarbeiter weitere Befestigungen an der Berliner Mauer vornähmen. Der eingespielte Film zeigte, wie Stacheldrahtverhaue durch Betonsteine ersetzt wurden, und auf manche Mauerabschnitte kam der Stacheldraht dann wieder oben auf den Mauerrand. Betonstein wurde auf Betonstein gesetzt; man konnte sehen, wie der Mörtel aus den Fugen quoll, und die Vopos hielten Maschinenpistolen in den Armbeugen und rauchten.
»Dass die dabei gar kein schlechtes Gewissen haben«, sagte meine Mutter. »Man fasst es nicht.«
»Und was sind das nur für hässliche Uniformen«, sagte Oma angeekelt. »Die Amerikaner sehen schicker aus. Und unsere Leute sowieso.«
Was unsere Leute betraf, war ich anderer Meinung als Oma, aber die Amis waren echt lässig – ihre Klamotten dufte, ihre Musik toll und die amerikanischen Filme Weltklasse. Im Kino lief jetzt Die glorreichen Sieben . Endlich! Beim Friseur hatte ich neulich im Stern gelesen, dass schauspielerische Leistungen, phantastische Landschaftsaufnahmen und die aufregenden Kampfszenen den Film zu einem wahren Wildwest-Meisterwerk machten, und auch die Bravo trompetete schon seit Wochen Lobesfanfaren in die Welt. Sagenhaft toll war natürlich, dass Horst Buchholz zu den glorreichen Sieben gehörte. Er spielte den jugendlichen Heißsporn und Revolverhelden Chico. Ein junger Deutscher also Seite an Seite mit den lässigsten Amerikanern, die sich für arme, ehrliche Dorfbewohner im Kampf gegen skrupellose Banditen aufopferten. Ob Horst Buchholz am Ende zu den Überlebenden gehörte, wurde natürlich noch nicht verraten, aber dass er das Herz der rassigen, glutäugigen Petra gewinnen würde, konnte man sich schon irgendwie denken.
Hanna hatte den Film gleich am ersten Tag gesehen, angeblich zusammen mit Sabine, der doofen Ziege, aber ich war mir sicher, dass sie sich von Dieter Bernholz hatte ausführen lassen. Das war nämlich ihr neuer Boyfriend – natürlich kein Halbstarker mit Schmalztolle, sondern der sauber gescheitelte Sohn von Rechtsanwalt und Notar Bernholz, mit dem ich sie erst neulich Händchen haltend im Stadtpark erwischt hatte. Die Kamera hatte ich leider nicht dabeigehabt. Und ich war mir auch sicher, dass sie sich im Kino von Dieter abknutschen und begrapschen ließ, obwohl sie heimlich in Horst Buchholz verknallt war. Aber wenn der sich die rassige Mexikanerin Petra nahm, blieb für Hanna eben nur der blasse Langeweiler Dieter übrig.
Sonntagnachmittags um drei kosteten die Kinokarten im Wallpalast nur eine Mark fünfzig. Die Schlange vorm Kartenschalter reichte bis auf die Straße und bestand beinah zur Hälfte aus Kindern mit oder ohne Elternbegleitung. Wie das? Die glorreichen Sieben konnte unmöglich frei ab 6 Jahren sein. Das wäre erheblich unter meiner Würde gewesen. Aber dann sah ich zu meiner Erleichterung im Schaukasten das Plakat mit Standfotos für den Film, der parallel im kleineren Wallstudio lief. Pongo und Perdi – Abenteuer einer Hundefamilie , ein Zeichentrickfilm von Walt Disney, »Zeitlos-köstliche Unterhaltung für Jung und Alt«. Also nicht für mich; ich war ja weder jung noch alt, sondern irgendwo auf der Schwelle.
Die Standfotos der Glorreichen Sieben waren enorm. Steve McQueen mit Colt im Anschlag, Yul Brynner mit Winchester, die ganze glorreiche Truppe auf Pferden, Horst Buchholz wiederum mit Colt, sich im Staub wälzend. Ob sich im Krieg mein
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