Klagelied auf einen Dichter
Pferderennplätzen gesehen
habe, die auf einen Außenseiter gesetzt haben; als er zu Ende gesprochen hatte
und alles vorüber war, war mir, als sähe ich einen Anflug von Ironie oder Spott
in ihren Zügen. Sie kam mir vor, als spüre sie noch eine weitere, feinere
Geschmacksnote der ganzen Affäre, die alle anderen gar nicht bemerkten – einen
Geschmack, der vielleicht nicht ganz frei von Schärfe oder gar Bitterkeit war.
Doch als der Sheriff sein Urteil verkündet und sich zurückgezogen hatte, war
sie die erste, die zu Miss Mathers hinübereilte. Von meinem Platz am hinteren
Ende der Bibliothek des Pfarrhauses, wo die Untersuchung stattgefunden hatte,
sah ich, wie sie Christine umarmte, Neil Lindsay ungeschickt die Hand
schüttelte und dann raschen Schrittes den Raum verließ. Ein interessantes
Mädchen: es tat mir leid, daß ich außer ein paar flüchtigen Blicken wohl kaum
noch etwas von ihr sehen würde.
Der Übergang von der gerichtlichen Untersuchung zum Begräbnis
erforderte viel Taktgefühl, und der Pfarrer, Dr. Jervie, schlug sich
bewundernswert. Man hätte meinen können, er sei umgeben von den Hinterbliebenen
des beliebtesten und frömmesten Mitglieds seiner Gemeinde; und daß er die
Situation so gut meisterte, war umso bemerkenswerter, als er für meine Begriffe
keiner von denen war, denen solche Hirtenpflichten leicht fielen – im
Gegenteil, er schien mir ein scheuer, akademischer Mann, der Visionen haben
mochte. Vielleicht weil mir der Pfarrer sympathisch war, spielte ich mit dem
Gedanken, mit auf das Begräbnis zu gehen. Aber es war doch nicht der richtige
Ort für neugierige Fremde, und nachdem ich noch ein paar Worte mit Speight
gewechselt hatte, begab ich mich ins Dorf, um mir ein Quartier zu suchen.
Das Pfarrhaus liegt ein wenig abseits vom Dorf; ich mußte eine gute
Viertelmeile durch den dicken Schneematsch stapfen. Das Wetter war im Laufe des
Tages umgeschlagen: ein kräftiger, milder Wind hatte die Wolken fast ganz
vertrieben, und der Schnee begann rapide zu tauen. Das Bächlein am Wege
spritzte und gurgelte und war zum reißenden Wildbach geworden; am Anfang des
Dorfes mischte es sich mit den eisgrünen Wassern des Drochet, eines kleinen
Flusses, der schon bis hoch an die Bögen der alten Brücke angeschwollen war,
über die ich nun kam. Vor mir, in einer Entfernung, die in der einsetzenden
Abenddämmerung nur schwer abzuschätzen war, lag der Ben Mervie als ein weißer
Schatten, dahinter ragte, noch klar umrissen im hellen Sonnenlicht, der Gipfel
des Ben Cailie auf. Der Wind blies den blauen Rauch der Torffeuer über das
Dorf, und in einem der kleinen Läden brannte schon gelb die erste Lampe. Es war
kalt, friedlich, einsam, verlockend; ich ging eine ganze Weile durchs Dorf und
ließ einfach nur die Stimmung auf mich wirken. Doch dann brachte mich der
Schnee, der mir das Gehen schwermachte, wieder darauf, daß ich auch in Gedanken
noch einiges umzuwälzen hatte. Doch ich hatte eben erst damit begonnen, als ich
von hinten eine Stimme hörte. Es war Noel Gylby.
Ich sollte erklären, daß Gylby und ich uns im Jahr zuvor unter recht
turbulenten Umständen kennengelernt hatten. Er hat reichlich romantische
Vorstellungen vom Leben eines Kriminalbeamten und bedauerte wohl, daß ich nicht
früher nach Erchany gekommen war und dort meine spektakulären Ermittlungen
geführt hatte. Jetzt rief er: »He – Appleby – ich habe mein Tagebuch wieder!«
Ich blieb stehen. »Sie haben – was?«
»Wußten Sie das nicht? Ich habe ein literarisches Meisterwerk
verfaßt – einen Bericht für Diana über alles, was auf der Burg vorgefallen ist.
Ich hatte es dem alten Wedders geliehen« – wie er unseren eminenten
Rechtsgelehrten aus Edinburgh zu nennen beliebte –, »und jetzt habe ich es
zurück. Möchten Sie es lesen?«
»Mit Vergnügen.«
Gylby drückte mir einen kleinen Packen Papiere in die Hand. »Sie
werden es vielleicht zu ausgeschmückt finden« – er sagte das voller Stolz –,
»aber sämtliche Fakten stehen drin. Gehen Sie zum Gasthaus? Wissen Sie was, ich
glaube, Sie sollten uns ein Abendessen ordern. Der Sheriff hat zu Wedders
gesagt, der Bordeaux, den sie dort haben, ist genau das Richtige zu einem
wirklich scharfen Curry oder einem Kuchen mit ordentlich Erdbeermarmelade. Ich
gehe zurück, zum letzten Akt.«
»Ich werde den Leichenschmaus bestellen. Und danke für Ihre
Notizen.«
Ich ging zum Gasthaus, ließ mir ein Zimmer geben und machte mich
dann an die Lektüre von Gylbys
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