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Klagelied auf einen Dichter

Klagelied auf einen Dichter

Titel: Klagelied auf einen Dichter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Innes
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begriff es ja auch nicht wirklich, sonst hätte ich ihn
vielleicht dazu bewogen zu bleiben.
    Eine Stunde zuvor hatte ich bezweifelt, daß meine Kräfte reichen
würden, nach Erchany zu kommen; nun mußte ich einen Kranken den langen Weg
zurück nach Kinkeig bringen. Ich war von allem so benommen, daß es mir fast
gleichgültig war. Wenn wir auf dem Weg umkommen mußten, dann sollte es eben
sein; ich fügte mich in mein Schicksal. Doch beide waren wir zäher als ich
gedacht hatte, und als die Glocken zum Frühgottesdienst riefen, langten wir im
Dorf an. Wir kamen zu meinem Haus, ohne daß uns jemand sah, und die nächsten
vierundzwanzig Stunden hielt Ian Guthrie sich dort verborgen. Doch nicht
verborgen genug. Die Verlockung, nach so langer Zeit Kinkeig wiederzusehen, war
zu groß, und als es dunkel wurde, machte er einen kleinen Spaziergang. Daher,
geneigter Leser, Ranald Guthries Gespenst.
    Er erzählte mir seine Geschichte, und mit dem, was jeder an Wissen
beisteuern konnte, bekamen wir einen guten Teil des Puzzles zusammen. Doch Ian
wollte sich nach wie vor nicht zu erkennen geben. Es werde gewiß eine amtliche
Untersuchung geben, sagte er, und bis die vorüber sei, werde er stillhalten:
wenn Lindsay angeschuldigt werde, werde er ihm beistehen; doch sonst werde er
als Richard Flinders abreisen, und keiner werde je etwas erfahren. Einstweilen
solle ich Christine einschärfen, niemandem zu sagen, daß ich auf Erchany
gewesen war.
    Der Leser soll selbst beurteilen, ob es recht war, daß ich seinen
Plan zumindest in einem entscheidenden Punkt rundheraus ablehnte. Selbst, sagte
ich, wenn Ian Guthrie für die Öffentlichkeit nicht zu neuem Leben erwachte,
sollten doch die Angehörigen und Anwälte der Familie es wissen. Und zu diesem
kleinen Funken Vernunft konnte ich den Mann, der ansonsten so exzentrisch war
wie alle Guthries, doch überreden. Wenn – falls – alles ohne Aufsehen vorüber
sei, dann, willigte er ein, sollte ich alle, die es wirklich anging, zu
nächtlicher Stunde auf der Burg versammeln, und er würde aus Dunwinnie
herüberkommen und alles erklären. Und nachdem er mir dies Versprechen gegeben
hatte, stahl Ian sich aus Kinkeig davon und marschierte zurück zu seinem Hotel
in Dunwinnie – wo man in dem Gewimmel der Wintersportler Richard Flinders gewiß
noch gar nicht vermißt hatte.
    Und das ist alles – obwohl es mir später schlaflose Nächte genug
bereitete. Ich konnte nicht damit rechnen, daß Appleby, der Polizist,
ausgerechnet zu der Stunde auf die Burg kommen würde, für die ich das
Familientreffen verabredet hatte, und es war ein Glück für alle, daß er sich
als weiser Mann erwies, der wußte, wann er zu schweigen hatte. Ranald Guthrie
und der gräßliche Hardcastle waren beide tot, und Ian Guthrie hatte keine
Kinder, so daß es, wenn er auf das Erbe von Erchany verzichtete, allein seine
Sache war. Und daß er zumindest fürs erste den Mantel des Schweigens über die
letzte Wahrheit breitete, mochte für ihn nur eine Laune sein, doch für
Christine Mathers war es ein Geschenk.

IV.
    Und so sind die Guthries aus unseren Tälern verschwunden, und Burg
Erchany sucht einen Mieter. Was an Möbeln und Sachen noch zu brauchen war, ist
fort. Die Familienbilder gingen per Schiff zu Sybil und Christine nach Amerika,
dazu alles, was im Schulzimmer war, und dann gab es eine große Versteigerung.
Den gewaltigen flämischen Tisch, an dem sie an jenem Abend beisammensaßen und
ihren Kaviar aßen, erwarb Dr.   Jervie für den Versammlungsraum des Kirchenrats.
Die Globen, hinter denen die kleine Isa Murdoch sich in der Galerie versteckte,
kaufte Mistress Roberts für das Arms; nun sitzt sie im Salon, die Teekanne zur
einen, den Globus zur anderen Seite, immer bereit, jedem zu zeigen, aus welchem
Hafen der neueste Brief ihrer Jungen kam. Fairbairn von Glenlippet – der, der
seine Autosteuern immer nur für ein Vierteljahr im voraus bezahlt – kaufte den
großen Granitblock, von dem man auf dem Hof auf die Pferde gestiegen war; alle
haben sich gefragt, was er damit wollte, doch Will Saunders sagt, der wird
eines Tages einen schönen Grabstein für Mistress Fairbairn abgeben. Und die
halb verschimmelten theologischen Bände aus der Galerie gingen allesamt an
mich: manches haben sie mir seither zu denken gegeben und mir in den
Diskussionen, die ich gelegentlich mit unserem Pfarrer führe, oft genug den
Rücken gestärkt.
    Wer weiß, vielleicht war es heute das letzte Mal, daß ich durch das
Herrenhaus

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