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Klagelied auf einen Dichter

Klagelied auf einen Dichter

Titel: Klagelied auf einen Dichter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Innes
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gegangen bin. Der Wind, der fast immer auf Erchany weht, seufzt in
den zerbrochenen Fensterscheiben; doch so lind die Lüfte auch sein mögen und
vom Duft der Wiesen geschwängert, werden sie doch kaum je Sommer und Sonne in
diese Burg bringen. Der Ort ist nun ganz in die Vergangenheit versunken: ich
glaube nicht, daß es hier je wieder andere Bewohner geben wird als die Ratten – die längst nicht mehr an die schwachköpfige alte Hardcastle denken – und die
Schwalben, die wissen, wann es Zeit ist, sich davonzumachen. Stein um Stein
wird fallen, und der gewaltige Turm, dessen Stufen ich noch einmal erklommen
habe, wird bald vergessen sein wie der Turm der Lindsays in Mervie – und die Guthries
von Erchany, die so leidenschaftlich im Leben Schottland gelebt haben, werden
wie ihre Widersacher nichts weiter sein als Fußnoten in einem Geschichtsbuch.
    Doch die Gamleys sind auf den Bauernhof zurückgekehrt. Einer der
Jungen hat geheiratet, ein Mädel aus Speyside, und ich kann sie drunten auf den
Feldern singen hören – einen dummen Gassenhauer, wie sie unsere echten
schottischen Volkslieder nun fast ganz verdrängt haben. Und doch – weil er so
glücklich und so voller Leben von der Erde aufsteigt – erfüllt mich dieser
Gesang mit Hoffnung.

Nachwort
    Cecil Day Lewis (1904   –   1972), Lehrer, Kritiker und Dichter, war
trotz des stürmischen Kommunismus seiner Jugend in reiferen Jahren so arriviert
und angesehen, daß er 1968 mit dem in unseren Tagen etwas merkwürdigen Titel
und Posten eines Poet Laureate geehrt wurde, eines
Hofdichters Ihrer Majestät der britischen Königin. Freunden des klassischen
Kriminalromans aber ist er besser bekannt als Nicholas Blake, Verfasser von
etwa zwanzig einschlägigen Romanen. Und als ein dergestalt ausgewiesener
Liebhaber und Praktiker des Genres hat er auch Kritiken geschrieben, z.   B. über
seinen Kollegen John Innes Mackintosh Stewart (1906   –   1994),
Literaturwissenschaftler mit brillanter Karriere, der seinerseits als Michael
Innes über fünfzig Detektivromane und Sammelbände mit Kurzgeschichten
veröffentlichte. Nicholas Blake widerlegt in diesem Spezialfall das meist
berechtigte Vorurteil, bei Fachkollegen etwas gelten zu wollen, sei verlorene
Liebesmüh – »was dir mißlingt, verzeihn sie selten, was dir gelingt, verzeihn
sie nie«. Er steht nicht an, Innes’ »Totenklage um einen Dichter« als einen der
allerbesten Kriminalromane aller Zeiten zu bewerten und ihn innerhalb des
umfangreichen Innes-Corpus als mit Abstand bestes Werk auszuzeichnen. Die
Chance, sich auf einen Poet Laureate als Gewährsmann und Eideshelfer bei der
Charakteristik eines Detektivromans beziehen zu können, ergibt sich nicht oft;
weshalb ich gerne Lewis’-Blakes Kritik zum Leitfaden meiner eigenen Darlegungen
mache.
    »Michael Innes entwirft in diesem – seinem besten – Buch eine
Situation, die zu gleichen Teilen einer Aischylos-Tragödie und einem Drury-Lane-Melodram
zu entstammen scheint.« (Nicholas Blake)
    Der Detektivroman-Autor Innes nennt im Roman selbst – sozusagen
in seiner zweiten Rolle als Literaturhistoriker J. I. M. Stewart – ein anderes
Vorbild, das die Mischung aus antiker Tragödie und blutig-grausigem Melodram
schon vorweggenommen hat: die Tragödien Senecas. Der Philosoph, Dichter und
Erzieher und Berater Neros schrieb seine Tragödien zwar einerseits im Gefolge
der Griechen, aber andererseits für ein Publikum, das zu seiner leichteren
Unterhaltung an blutige Gladiatorenkämpfe und Tierhatzen mit tödlichem Ausgang
gewöhnt war. Der klassischen Tragödie verpflichtet ist Innes in der strikten
Einhaltung der aristotelischen drei Einheiten: Einheitlicher Schauplatz des
Ganzen ist die einsam an einem schottischen Loch gelegene Burg Erchany; die
entscheidende Zeitspanne ist die einer einzigen Nacht. Die Einheit der Handlung
scheint schon allein durch die ebenfalls antike Kargheit des Personals gegeben
zu sein: Ranald Guthrie, der letzte Laird von Erchany, seine in unklarer – aber
umso mehr in der Gegend beredeter – verwandtschaftlicher Beziehung zu ihm
stehende Stieftochter Christine, deren Verlobter aus einer à la Pyramus und
Thisbe oder Romeo und Julia mit den Guthries verfeindeten Familie, ein
Verwalterehepaar, ein Diener und zwei im Wortsinne hereingeschneite Gäste
bilden das ganze Personal der Tragödie, die mit dem Tod des letzten Lairds
endet.
    Zu solchen Zügen klassischer Simplizität treten dann die des
Melodrams – oder der

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