Klagelied auf einen Dichter
Frühstück – da kann ich noch
ein paar weitere Bemerkungen über den gestrigen Abend anfügen. Das Schulzimmer,
in dem Christine ihre Ausbildung erfuhr – sie ist, wenn ich es recht verstehe,
kaum, wenn überhaupt je, von Erchany fortgewesen –, ist nun ein freundlicher,
wenn auch ein wenig karger Salon – Mirandas Winkel in der Höhle, ausgestattet
mit ein paar eleganten Erinnerungsstücken an Mailand: in diesem Falle eine
wirklich wunderschöne flämische Kommode und einige indische Malereien,
Darstellungen von Vögeln, die ein besseres Licht verdienen als die zwei Kerzen,
die auf Erchany offenbar die Standardbeleuchtung für Wohnräume sind. Als
Guthrie und ich eintraten, fanden wir Christine und Sybil einträchtig
beieinander auf einer Bank am Feuer sitzen, allem Anschein nach gerade dabei,
sich anzufreunden. Beide erhoben sich; Sybils Blick, das fiel mir auf, musterte
Guthrie eindringlich; Christine hingegen betrachtete Sybil mit etwas wie
Verwunderung. Ich weiß noch, wie ich mich fragte, wie wir vier je miteinander
auskommen sollten, wenn gerade keine Mahlzeit uns beschäftigte.
Unsere Zuflucht war die Höflichkeit. Wie auf dem sprichwörtlichen
Tablett wurde ich an Christine weitergereicht, und bald kultivierte ich mit
Bedacht eine nicht zu überschäumende Heiterkeit – wie es nun einmal meine Art
ist, meine Liebe – und erzählte von den Abenteuern des Tages. Ich kann mir
nicht vorstellen, daß Christine unter normalen Umständen nicht ihren Spaß daran
gehabt hätte, wie ein junger Mann an einem Winterabend plötzlich aus der Welt
herauspurzelt und auf Erchany landet, oder daß sie nicht den Witz und den
Willen gehabt hätte, mit Spott meiner Ironie Paroli zu bieten und sie damit
noch weiter anzustacheln. Ich bin ein geselliger Mensch; im Lauf eines Jahres
lerne ich Dutzende von jungen Frauen kennen; und vielleicht ein halbes Dutzend
ist darunter, zu denen man sich eine engere, persönlichere Beziehung vorstellen
könnte. Das weiß man doch immer auf Anhieb, nicht wahr? Und Christine wäre eine
solche Frau: so schüchtern sie auch ist, hätte es doch höchstens acht bis zehn
Minuten dauern sollen, bis wir miteinander warm geworden wären. Spürst Du,
Diana, wie da ein gewisser gekränkter Stolz hineinspielt? Sie war freundlich
und höflich, doch wenn Du Dir eine Herzogin vorstellst, die auf einer Party mit
ihren Gedanken bei komplizierten politischen Schachzügen ist und dabei ganz
bezaubernd mit einem zufällig hinzugekommenen jungen Mann plaudert, der es
vielleicht in dreißig Jahren einmal zu mittlerem Ansehen bringen könnte, dann
trifft das die Verhältnisse recht genau. Der Vergleich ist sogar ausgesprochen
passend – denn Christine, Landpomeranze, die sie ist, hat eine altmodische
Vornehmheit, die ich sehr charmant finde: ich verzehre mich vor Neugier und
wüßte furchtbar gern, wie sie hier aufgewachsen ist. Doch Tatsache ist, daß wir
dort saßen und ich meine Kunststückchen vorführte und sie genau das angemessene
Maß an Interesse und Erheiterung an den Tag legte und gerade soviel an eigener
Konversation beitrug, wie es sich gehörte – und mich doch während dessen im
Grunde gar nicht wahrnahm. Grund genug, wie gesagt, ein wenig pikiert zu sein.
Christine – ich betone es noch einmal, auch auf die Gefahr hin, daß
ich Dir damit auf die Nerven gehe – wartet auf etwas:
wartet, wie eine Braut gewartet haben muß, als die Welt noch jünger war. Ein
Verehrer, gar keine Frage!
Und auch Guthrie wartet: doch worauf, das kann ich nicht einmal
vermuten – vielleicht hat er eine Verabredung mit den Gespenstern von Clerk von
Tranent und Sir Mungo Lockhart of the Lea. Doch man könnte sagen, daß er sich
gar noch wackerer hielt als die tüchtige Christine; all seine Schweigsamkeit
war verflogen, und er plauderte angeregt mit Sybil und überschüttete sie
geradezu mit höflicher Aufmerksamkeit. Ich glaube, bei aller Verrücktheit weiß
er doch sehr genau, was sich für einen Gutsherrn auf Erchany gehört. Als meine
Aufmerksamkeit zu ihnen hinüberwanderte, zeigte er Sybil eben eine Schatulle
mit Kuriositäten – Goldmünzen und Medaillen hauptsächlich –, die er aus einem
anderen Zimmer geholt hatte. Christine nutzte die Gelegenheit, die mein, wenn auch
nur für eine Sekunde, abschweifender Blick ihr bot, und führte mich hinüber zu
den beiden anderen; tête à tête hatte sie – ich muß es zu meiner Schande
gestehen – genug von mir.
Guthrie reichte Sybil eben ein kleines
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