Klagelied auf einen Dichter
des Unmenschen; mein Ton war wohl
beinahe so grimmig gewesen wie der seines grimmigen Herrn. Schließlich war die
Botschaft, die da mittels Hardcastle vom Turm heruntergeschickt wurde – obwohl
bekannt war, daß ich schon Stunden zuvor zu Bett gegangen war –, kaum weniger
rätselhaft als jene, die mir die Ratte gebracht hatte; die beiden zusammen, und
dazu noch Sybils Verschwinden, waren Beweis genug, daß etwas Teuflisches im
Gange war und daß ich nur zu bald sehen würde, was es war. So stapfte ich denn,
geführt von Hardcastle, den Korridor entlang, wobei mein Zorn vermutlich einen
Gutteil Furcht verbarg. Ich hatte keine Ahnung, was vorging, aber ich hatte das
sichere Gefühl, daß es eine Falle war. Irgendwo spazierte in diesem Augenblick
eine Fliege geradewegs ins Wohnzimmer der Spinne. War es Sybil? Oder ich? Daß
es Guthrie sein könnte, darauf wäre ich nie gekommen!
Daß hingegen Hardcastle selbst viel von einer Spinne hatte, war keine
Frage. Ich hatte darauf bestanden, daß er vorausging, denn ich spürte ja schon halb
sein Messer am Hals, und hielt stets ein Auge auf ihn, als er vor mir die große
Treppe hinabstieg und dann einen Korridor entlangschlurfte, den ich vage als den Weg
zum Schulzimmer wiedererkannte. Wir hatten etwa die Hälfte des Ganges hinter
uns, als er zögerte und dann kurz stehenblieb, als ob er horche. Ich blieb zwei
Schritt hinter ihm stehen und lauschte ebenfalls angestrengt. Zuerst war mir, als
vernähme ich eilige Schritte, die auf uns zukamen, doch so angestrengt ich auch
den Korridor hinunterbrlickte, sah ich doch niemanden; dann – und die Haare standen
mir dabei zu Berge – tappten die Schritte direkt an mir vorüber, und noch immer
sah ich nichts. So absurd das war – schließlich läßt sich ein Gespenst ja nicht
erschlagen – bedauerte ich, daß ich nicht den Schürhaken mitgebracht hatte, mit
dem ich die gelehrte Ratte erlegt hatte: dann begriff ich, daß ich nichts weiter
gehört hatte als das seltsame flappende Geräusch des langen abgewetzten Teppichs,
der am Boden des Korridors wogte wie die See. Das brachte mich immerhin wieder soweit
zur Besinnung, daß ich hörte, was Hardcastle innehalten ließ: Stimmen, die von
irgendwo am Ende des Ganges kamen.
Anfangs war es nur ein Murmeln – doch dann erfaßte einer jener
unberechenbaren Winde von Erchany sie, und wir konnten Christines Stimme
vernehmen. Ich war recht erleichtert, denn ich malte mir aus, daß Sybil bei ihr
sein würde und die beiden vielleicht noch beieinander saßen und ein wenig
Weihnachten feierten. Hardcastle mag derselbe Gedanke durch den Kopf gegangen
sein; er warf einen Blick auf seine Uhr, genau wie ich einige Minuten zuvor;
und dann wehte der nächste Windstoß eine neue Stimme zu uns herüber, eine
Männerstimme – ein älterer Mann, hatte ich den Eindruck, und sehr schottisch.
Im nächsten Augenblick öffnete sich eine Tür an jenem Ende des Ganges, von dem
das Murmeln gekommen war, und wir konnten gerade noch eine Gestalt ausmachen,
die herausschlüpfte und im Dunkel vor uns verschwand.
Der gräßliche Hardcastle zögerte noch einen Moment lang, dann gingen
wir weiter. Wie Du weißt, hatte ich ja keine Gelegenheit, mich in den
entlegeneren Winkeln der Burg zu orientieren, und ich hatte keine Ahnung, auf
welchen Wegen Hardcastle mich führte. Der Turm ist der älteste Teil, ein echter
Wehrturm, und daraus, daß wir von der Schlafzimmeretage herabgestiegen waren,
schloß ich, daß er unabhängig von den späteren Teilen und nur im Erdgeschoß mit
ihnen verbunden war – womit er natürlich wirklich ganz außerordentlich
abgeschieden war. Wie abgeschieden, wurde mir gleich darauf vor Augen geführt.
Wir traten durch eine kleine, schwere Tür und dann, zwei Schritte darauf, durch
eine zweite, gleichartige: und selbst in meinem verwirrten Zustand begriff ich,
daß der Zwischenraum, zwei Schritt breit, der Dicke der Mauern dieses Turms
entsprach. Und wir stiegen eine Treppe hinauf.
Ich rief mir ins Gedächtnis – so wie man sich etwas Absonderliches
in einem Traum ins Gedächtnis ruft –, daß ich, ein zufälliger Gast in diesem
Hause, unterwegs zu den Gemächern des freundlichen und höflichen Hausherrn war,
um mit ihm die Weihnacht zu begrüßen. Und trotzdem wünschte ich mir von neuem,
ich hätte den Schürhaken mitgenommen. Wir stiegen immer höher – Hardcastle vor
mir erklomm die Stufen mit einer sinistren Hartnäckigkeit, wie der Scherge, der
den Verurteilten zum Galgen führt;
Weitere Kostenlose Bücher