Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Klammroth: Roman (German Edition)

Klammroth: Roman (German Edition)

Titel: Klammroth: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isa Grimm
Vom Netzwerk:
deine Schicht ist zufällig gerade zu Ende?«
    »Mir gehört der Laden. Und es sind noch zwei andere Wagen unterwegs. Das reicht um diese Uhrzeit.«
    Beinahe hätte sie aus Höflichkeit Ja gesagt, ehe ihr bewusst wurde, dass sie das gar nicht wollte. Lily wartete auf sie und würde sich Sorgen machen.
    Der Regen trommelte immer heftiger auf die weiße Karosserie, als sie um den Wagen lief. Er öffnete ihr die Beifahrertür. »Und es macht ihm nichts aus, wenn du mich mitnimmst?«, fragte sie.
    »Ganz bestimmt nicht.«
    Sie glitt ins Innere und blickte zwischen den Sitzen hindurch nach hinten. Der Mann auf der Rückbank trug einen dunklen Regenmantel. Sein Gesicht war halb abgewandt und unter der Kapuze kaum zu sehen, nur sein glatt rasiertes Kinn ragte aus dem Schatten. Er rührte sich nicht.
    »Wie schlecht wird ihm denn dahinten?«, fragte sie.
    »Der ist harmlos.« Sebastian fuhr los. »Macht nie Dreck, zahlt mit leichter Verspätung alle Fahrten, riecht nur nicht besonders gut. Aber wenn du den halben Tag lang Kranke zur Chemo und Dialyse gefahren hast, bist du froh, wenn dumal jemanden hast, der dich nicht laufend daran erinnert, wie dreckig es dir selbst noch gehen könnte. Er trinkt ab dem Mittag und schläft abends am Tresen ein. Damit ist er glücklich und zufrieden. Das ist mehr, als die meisten hier in Klammroth von sich behaupten können.«
    »Warum bist du hiergeblieben?«
    Er warf ihr einen Seitenblick zu, der aussah, als hätte er sich gerade einen Fingernagel eingerissen. »Du erinnerst dich nicht an sie, oder? An Nele?«
    »Gott, natürlich. Deine Schwester.« Sie hätte sich am liebsten auf die Zunge gebissen. »Tut mir leid. Ich dachte   –«
    »Dass sie tot ist?«
    »Nein. Das heißt   –«
    »Kein Mensch hat geglaubt, dass sie es schafft. Und schon gar nicht siebzehn Jahre lang. Wobei schaffen das falsche Wort dafür ist.« Er schien zu überlegen, ob er noch etwas dazu sagen sollte. Dann wechselte er das Thema. »Wie lange bleibst du hier?«
    »Wir sind heute erst angekommen. Ich muss noch mit dem Abrissunternehmen und der Versicherung sprechen. Und vielleicht fahre ich noch mal raus zum Institut.« Fast hätte sie ihn gefragt, ob er jemals Leonhard von Stille begegnet war. Aber sie wollte keine Erklärungen geben und ohnehin nicht mehr reden, als nötig war.
    »Wenn du sagt, ihr seid angekommen   …«
    »Ich bin mit meiner Tochter hier. Lily. Sie ist vierzehn.«
    »Dann hast du sie bekommen mit   –«
    »Neunzehn. Gleich nach dem Internat. Ihr Vater ist Engländer. Musiker. Ich hab ihn in Berlin kennengelernt, und dann ging alles ziemlich schnell.«
    »Du hast es richtig gemacht. Bist von hier weggekommen und hast keine Zeit verschwendet.«
    »Du bist keine achtzig. Du kannst noch immer weggehen.«
    »Ich bin Taxiunternehmer. Mit Mühe und Not halte ich fünf Wagen am Laufen. Ich hab keinen Schulabschluss, der ist da oben im Tunnel verbrannt, kein Studium, gar nichts. Glaubst du, ich gehe anderswohin, um dort auch nur Taxi zu fahren? Dann bin ich hier besser dran, die Leute kennen mich, und die meisten wollen mit keinem anderen fahren.« Er sah mit einem Seitenblick, dass sie den Mund öffnete, und fügte hinzu: »Und sag jetzt ja nicht, dass das doch gut klingt. Mir sind einfach ziemlich früh die Alternativen ausgegangen.«
    Sie war nicht sicher, ob sie darauf etwas erwidern konnte, ohne ihm recht zu geben.
    »Wir sind schon da«, sagte er und hielt vor einer Toreinfahrt gleich neben der Pension.
    »Was bekommst du dafür?«
    Nun sah er beinahe verletzt aus. »Nicht dein Ernst, oder?«
    Sie versuchte es mit einem Lächeln. »Vielen Dank.«
    »Vielleicht morgen Abend?«, fragte er.
    »Hm?«
    »Was trinken gehen. Oder essen. Ich wüsste was. Ist aber ’ne Überraschung.«
    »Um der alten Zeiten willen?«
    Sebastian lachte. »Versprochen: Wir verlieren kein Wort darüber, wie toll damals alles war. War’s ja auch nicht.«
    »Nein.«
    »Nein?«
    »Nicht toll. Aber Ja zum Essen.«
    Seine Miene hellte sich auf. Womöglich lag das nur daran, dass sie die Tür öffnete und die Innenbeleuchtung anging. Sie fragte sich, ob das Licht auch unter die Kapuze des Mannes auf der Rückbank fiel.
    »Soll ich dich um sieben abholen? Oder ist das zu früh?«
    »Sieben ist gut.«
    »Ich freu mich drauf.«
    Als er losfuhr, hob sie kurz die Hand und sah noch, wie sich der Mann hinter ihm aufsetzte. Im Regen glühten die Rücklichter wie Raubtieraugen.
    Eilig floh sie vor dem Wetter in die Pension. Sie

Weitere Kostenlose Bücher