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Klammroth: Roman (German Edition)

Klammroth: Roman (German Edition)

Titel: Klammroth: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isa Grimm
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schien noch weiter nach unten zu führen. Demnach gab es mindestens zwei Kelleretagen, vielleicht Lagerräume der ehemaligen Fabrik. Vor ihrem inneren Auge sah sie dunkle Ziegelgewölbe und verstaubte Metallkessel.
    »Da ist keiner«, sagte sie kopfschüttelnd, drehte sich zu ihm um und bemerkte erst aus unmittelbarer Nähe, wie zerschunden sein Gesicht war. Sie hatte ihn vorhin im Wagen geschlagen, aber davon stammten nicht all diese Schürfwunden und Prellungen. »Ihr habt euch wirklich geprügelt da oben am Tunnel!«
    Erik nickte. »Ich bin größer als er und ein ganzes Stück bulliger, und ich hatte einen Knüppel dabei. Aber ich dachte trotzdem, er bringt mich um. Und das, während du im Tunnel eingesperrt warst.« Während er den letzten Satz sagte, schwang plötzlich eine Spur von Argwohn in seiner Stimme mit. »Wie lange warst du da noch drin?«
    Sie wich seinem Blick aus. »Nicht lange.«
    »Keiner geht da rein. Normalerweise ist das Tor verschlossen.«
    »Gestern war es offen.«
    Er sah beunruhigt aus. »Ich dachte, sie hätten es für immer zugesperrt«, murmelte er.
    »Was ist mit dir?«, fragte sie. »Du siehst aus, als ob du   –«
    »Ich bin seitdem nicht zu Hause gewesen.« Jetzt lag wieder diese Schärfe in seiner Stimme. Womöglich hasste er es auch nur, sich zu verteidigen, sogar mit Worten, weil er das schon sein Leben lang hatte tun müssen. Gegen seine Mitschüler, gegen die Beleidigungen   – und gegen seinen Vater, falls die Gerüchte wahr gewesen waren. Eriks Vater war ein Trinker gewesen, und in Klammroth waren die Leute schnell übereingekommen, dass er der Verursacher der Tunnelkatastrophe gewesen sein musste. Anais erinnerte sich vage, dass eine Blutuntersuchung des schwer verletzten Busfahrers das nicht bestätigt hatte, dass aber ihr eigener Vater und viele andere ihm trotzdem die Schuld gegeben hatten, unabhängig davon, dass da noch weitere Busse und Fahrer gewesen waren. Praktischerweise war er nicht mehr in der Lage gewesen, sich zu wehren.
    Anais ließ Erik nicht aus den Augen. »Hast du draußen im Wald übernachtet?«
    »Das kann dir doch egal sein.«
    Ihr Mund wurde trocken, als sie die Wahrheit begriff. »Wegen Sebastian? Dachtest du, er kommt zu dir nach Hause und   –«
    Sie verstummte, als er abermals ihren Blick kreuzte. Er mochte seinen Körper in etwas verwandelt haben, das nichts mehr mit dem schmalbrüstigen Schuljungen von einst zu tun hatte. Aber in seinen Augen erkannte sie wieder, was sie schon früher darin gesehen und seither verdrängt hatte: jemanden, der bis auf den Grund seiner Seele verunsichert war, heute noch genauso wie damals. Sie erinnerte sich, dass Sebastian bis zur Mittelstufe einer der Rädelsführer der täglichen Schulhofjagden auf Erik gewesen war. Saß die Angst noch so tief? Wie viel Überwindung mochte es ihn gekostet haben, sich am Tunnel auf Sebastian zu stürzen, um ihr zu helfen?
    Er musste ihre Frage nicht beantworten. Sie sah die ganze Wahrheit in diesem einen Blick. Mobbing war ein viel zu harmloses Wort für das, was über Jahre hinweg mit Erik geschehen war. Sie brauchte ihm nicht mit ihrer schalen Erwachsenenlogik zu kommen. Inmitten dieser Muskelmassen steckte derselbe verstörte Junge, der schon damals nach einem Ausweg gesucht und bis heute keinen gefunden hatte.
    »Erik«, sagte sie sanft, »was genau willst du? Warum bist du hier? Und warum hast du mir da draußen im Auto einen Mordsschrecken eingejagt?«
    Noch einmal, ganz kurz nur, sah er sie an wie ein geschlagener Welpe, ebenso ausgeliefert und verständnislos. Dann verhärteten sich seine Züge wieder zu jener Maske der Wut, mit der sie ihn am Tunnel hatte näher kommen sehen.
    »Ich glaube«, sagte er, »dass Sebastian trotz allem recht hat. Deine Stiefmutter hat meinen Vater mit denselben Methoden behandelt wie Nele. Und wenn das wahr ist, dann will ich, dass sie dafür zur Rechenschaft gezogen wird. Auch über den Tod hinaus.«
    Sie stellte sich vor, wie er in die Klinik stürmte und tobte, bis ihm endlich Sternberg in die Finger geriet.
    »Ich hab Geld gespart«, sagte er, »und ich nehme mir einen Anwalt, der das alles vor Gericht bringt.« Jetzt klang er auf rührende Weise trotzig. Zugleich entfachte seine Entschlossenheit auch in ihr etwas, das ihr zuletzt   – sogar noch auf dem Weg hierher   – gefehlt hatte. Einen Zorn, der sie zu Verbündeten machte.
    Er blickte durch den Treppenschacht nach oben, obwohl er dort wegen seiner Kurzsichtigkeit wohl ebenso

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