Klammroth: Roman (German Edition)
Inneren gerissen, an dem sie sich bis gerade eben krampfhaft festgeklammert hatte. »Scheiße!«
Er war sofort neben ihr. »Ist es weg?«
Sie machte einen wackeligen Schritt zur Badezimmertür. Lilys Sachen hatten auf dem Toilettenkasten gestanden, in dem pinkfarbenen Kulturbeutel, den Anais ihr vor ein paar Jahren gekauft hatte und für den sie eigentlich schon zu alt war.
»Geben Sie mir bitte die Telefonnummer Ihres Exmannes«, sagte Herzog.
Das Denken fiel ihr jetzt immer schwerer. Zitternd zog sie ihr Handy hervor und suchte Phils Nummer. Sie wollte selbst wählen, aber Herzog nahm ihr das Gerät kopfschüttelnd ab. »Lassen Sie mich das machen.« Flink tippte er die Nummer in sein eigenes Smartphone und gab ihr ihres zurück. »Damit warten wir noch etwas. Selbst wenn sie wollte, könnte sie nicht so schnell bei ihm sein, oder?«
»Nein … Ich glaube, nicht.«
»Ich wecke jetzt den Besitzer der Pension. Warten Sie hier, und überlassen Sie mir das. Sie können in der Zwischenzeit noch mal versuchen, Lily zu erreichen.«
»Hab ich schon vom Auto aus.«
»Probieren Sie’s noch mal.« Er schenkte ihr ein aufmunterndes Lächeln.
»Was ist mit diesen anderen Kindern?«
»Eines nach dem anderen. Ich verspreche Ihnen, ich gehe hier nicht weg, bis die Sache geregelt ist, okay?«
Sie murmelte etwas, das wie ein Ja klingen sollte, und setzte sich auf die Bettkante. Herzog verließ das Zimmer. Der Schlüssel steckte noch außen in der Tür, aber Herzog lehnte sie nur an.
Noch einmal checkte sie ihren SMS- und E-Mail-Eingang. Keine neuen Nachrichten. Dann die Liste der gewählten Nummern. Immer wieder dieselbe, nur einmal zwischendrin die von Herzog.
Tiefer im Haus erklang Türenklappern. Dann unverständlich Herzogs Stimme, gleich darauf die eines anderen Mannes.
Sie tippte erneut auf Lilys Rufnummer.
Endlose Sekunden vergingen mit Schweigen. Nur Herzog und der Wirt redeten dumpf und sehr weit entfernt. Anais war unter einer Glocke gefangen, ihre Ohren hatten sich geschlossen wie bei einem Druckwechsel.
Das Freizeichen, endlich.
Zugleich setzte irgendwo im Raum eine Melodie ein.
Anais saß da wie vom Blitz getroffen. Durch etwas, das sich wie Betäubung anfühlte, lauschte sie auf das Freizeichen und zugleich auf die Klingelmelodie. Sie klang ebenso dumpf wie die Stimmen der Männer.
Das Handy glitt ihr aus den Fingern, fiel auf die Bettkante und von dort aus zu Boden. Sie sprang auf, blickte sich in Panik um, rannte ins Bad, dann zurück ins Zimmer, riss die Decken zurück, schaute unter die Kissen, schließlich unter die Betten.
Die Melodie spielte weiter, Anais hatte sie in den vergangenen Tagen viele Male gehört. Sie selbst hatte Lily das neue Smartphone in Amsterdam gekauft und war dabei gewesen, als sie den Klingelton ausgewählt hatte. Sie hatten gemeinsam darüber gelacht, bei Pizza und Cola in einem Restaurant, in dem sie alle anderen Gäste mit dem Gedudel gegen sich aufgebracht hatten.
Schritte näherten sich auf dem Flur.
Ihr fiel nur eine Stelle ein, an der sie noch nicht nachgesehen hatte. Sie packte ihren Koffer mit beiden Händen, hob ihn von der Ablage und kippte den Inhalt aus. Ein zerwühltes Sammelsurium aus Kleidung und Kleinkram ergoss sich über den Teppich und das halbe Bett.
Die Melodie wurde lauter.
Und da war es. Lilys Handy. Im Display leuchteten drei Buchstaben. Mum.
Anais starrte es fassungslos an, ohne es aufzuheben. Herzog kam herein und sagte etwas, aber sie hörte nicht zu.
»Das ist es!«, rief sie. »Das ist ihr Handy!«
»Frau Schwarz«, sagte er und kam näher.
»Warum war ihr Handy in meinem Koffer? Sie hatte es doch bei sich!« Ihr Blick suchte seinen, während noch immer diese furchtbare Melodie erklang, die sie vollends in den Wahnsinn trieb. Aber sie brachte es nicht über sich, sie abzuschalten, weil es sich angefühlt hätte, als würde sie Lilys Stimme zum Schweigen bringen.
»Frau Schwarz.« Er streckte den Arm nach ihr aus, doch sie schüttelte seine Hand ab.
»Sie ist heute Abend hier gewesen!«
»Hören Sie bitte –«
»Jemand muss sie hier rausgeholt haben. Kann Sebastian das getan haben? Wir hatten Streit, sehr heftigen sogar. Oder von Stille könnte –«
»Frau Schwarz, ich habe gerade mit dem Wirt gesprochen.«
»Wo ist er?«
»Draußen. Er –«
»Ich will mit ihm reden!« Sie drängte sich an ihm vorbei und zog die Tür auf. Der Schlüsselanhänger klapperte gegen das Schloss.
»Warten Sie bitte.« Er hatte noch
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