Klappohrkatze kommt nach Hause: Meine Abenteuer mit Norton (German Edition)
sagte er, er könne die Morphininfusion erhöhen, meinen Vater langsam ins Koma versetzen und … Er sprach nicht weiter, aber das Ende des Satzes, die Worte, die er nicht sagte und nicht sagen konnte, waren »und ihn umbringen«. Für mich war es gar keine Frage, dass dies ein humanes Angebot war. Und eines, das ich sofort annehmen würde, wenn es nötig wäre. Ich dankte dem Arzt – der mir klarmachte, dass dieses Gespräch offiziell niemals stattgefunden hatte –, und dann ging ich hin und erklärte meiner Mutter und meinem Bruder die Lage. Meine Mom sagte, ihrem Empfinden nach sei dies die richtige Entscheidung, wenn der Zeitpunkt käme, an dem wir glaubten, dass er zu stark litt oder dass sein Gehirn nicht mehr funktionierte. Mein Dad hatte uns ganz klar gesagt, dass er nicht dahinvegetieren wollte. Aber Mom sagte auch, dass sie nicht diejenige sein könne, die die Entscheidung traf. Mein Bruder war völlig ihrer Meinung, war sich aber auch nicht hundertprozentig sicher, ob er zu der Entscheidung fähig wäre. Ich wusste, dass ich es konnte, und das sagte ich ihnen auch. Also kamen wir stillschweigend überein, wenn es schlimmer würde, würde ich mit dem Arzt sprechen, und niemand würde es je erfahren – auch sie nicht.
Zum Glück kam es nicht so weit. Nur weil ich es machen konnte , hieß das nicht, dass ich es auch wollte . Meinem Vater ging es etwas besser, so viel besser, dass er uns mitteilen konnte, dass er zu Hause sterben wollte, wie es dann auch ein paar Tage später geschah – natürlich ohne künstliches Nachhelfen.
Ich erinnerte mich an dieses Gespräch, als sei es gestern gewesen, und seltsamerweise erforderte diese Situation mit Norton mir eine viel emotionalere Entscheidung ab. Als ich mit dem Arzt meines Vaters sprach, war ich erstaunlich emotionslos. Ich kenne natürlich den Unterschied zwischen Menschen und Tieren, keine Angst. So weit ist es noch nicht mit mir gekommen. Aber bei meinem Dad war es eine Frage von Tagen, möglicherweise sogar von Stunden. Und es ging darum, von Leiden zu erlösen, nicht das Leiden zu verlängern. Ich fand nicht einmal, dass es eine schwierige Entscheidung war – es erschien mir die einzig mögliche Entscheidung. Jetzt jedoch würde ich, falls dem Onkologen zu glauben war, durch meine Unentschlossenheit möglicherweise das Leben des süßesten, sanftesten, aufrichtigst liebenden Geschöpfes, dem ich je begegnet war, um sechs Monate bis zu einem Jahr verkürzen. Ich wusste nicht, wie viel Leiden mit der Behandlung oder deren Unterlassung verknüpft war. Ich hatte keine Ahnung. Aber ich versuchte zu überlegen, wie ich für mich selbst entscheiden würde – und mir wurde klar, dass ich es genauso halten würde. Ja, ich wollte so lange wie möglich leben. Gar keine Frage. Aber dieser Wunsch war nicht so übermächtig wie der, so gut wie möglich zu leben. Wenn es um mich ginge, würde ich für Qualität plädieren, und ich würde für die Natur plädieren.
Das also war die Entscheidung, die ich für meine Katze traf.
Dass ich es richtig gemacht hatte, wurde mir klar, als Dianne mich anrief, weil ihr die Resultate von Nortons letzter Blutuntersuchung vorlagen.
»Ich weiß nicht so richtig, was ich Ihnen sagen soll«, erklärte sie. Ich machte mich auf das Schlimmste gefasst, aber das war ganz und gar nicht das, was sie meinte. »Ich verstehe es nicht«, fuhr sie fort, »und ich weiß nicht, wie das möglich ist … aber was immer ihm Marty da oben mit seiner Infusion verabreicht hat, die Resultate von Nortons Blutuntersuchung sind genauso, als hätte er eine sehr erfolgreiche Chemotherapie hinter sich.«
So begann mein neuer Lebensabschnitt als hauptamtlicher Katzenpfleger.
Als wir in Sag Harbor waren, fuhr ich extra zu Dr. Turetsky und Dr. Pepper und erzählte ihnen von dem Krebs. Sie waren aufrichtig betrübt. Ich glaube, ihre Trauer rührte zum Teil daher, dass sie mitfühlende Menschen waren und Tiere liebten und ihnen die Vorstellung nicht gefiel, dass einer ihrer Patienten Krebs hatte. Ich glaube aber auch, dass noch mehr dahintersteckte, vor allem bei Turetsky, der Norton behandelt hatte, seit er ein Baby war. Sie hingen mittlerweile an meinem Kater. Sie mochten ihn, und sie erkannten, glaube ich, jenen schwer zu beschreibenden Lebenswillen, daher war ihre Trauer zum Teil auch persönlich. Sie wollten ihn nicht verlieren. Sie fragten mich nach seiner Behandlung, und ich beschrieb, was bis jetzt geschehen war. Natürlich stellten sie sich Norton
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