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Klar sehen und doch hoffen

Klar sehen und doch hoffen

Titel: Klar sehen und doch hoffen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Schorlemmer
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den Aufenthalt der sowjetischen Truppen in der DDR.
    Am Ende seiner Rede sagte der Pfarrer, daß es wenig Zeit gab und lud allen zum ähnlichen Gespräch am 13. 12. 88 ein. 14.30
    Der Pfarrer teilte mit, daß Freitags um 15.00 Uhr Konzert der Orgelmusik und sonntags um 10.00 Uhr Gottesdienst in der russischen Sprache findet statt.
    … hat die sowjetischen Bürger nach Hause eingeladen wenn sie den Wunsch hätten das Gespräch weiter fortzusetzen.
    LEITER der S M A
    Oberstleutnant Belikow. W. P. 45
    Die SMA hatte ihren eigenen Spitzel mit guten Deutschkenntnissen eingesetzt. Der Bericht ist jedoch ungenau, z. B. was die Äußerungen zur deutschen Einheit und Demokratiebewegung betrifft. Gänzlich verschwiegen wird, dass der Superintendent zwischendurch Bibeln in russischer Sprache geholt und einige verteilt hatte, die den Teilnehmern sofort nach ihrem Besuch abgenommen wurden.
    Ein von uns vorbereiteter Abend in der Adventszeit im Predigerseminar wurde verhindert. Wir hatten Plätzchen und Stollen gebacken, den Raum adventlich ausgestaltet, Glühwein gekocht und schöne Musik vorbereitet. Zwei Besuche bei der Schuldirektorin der »Russenschule« waren vorangegangen. Der erste unangemeldet und sehr freundlich, der zweite angemeldet und sehr frostig. Die Direktorin hatte plötzlich eine Beisitzerin, eine schweigende. Unsere SpitzelinW. hatte alles, was wir vertraulich behandelt wissen wollten, weitergetratscht. Wir wollten doch ernsthaft und ohne jeden Nebengedanken Verständigung mit den Völkern der Sowjetunion und deshalb Kontakt und Verständigung mit den realen Menschen, mit denen wir Haus an Haus, wenngleich nicht Tür an Tür wohnten. Schließlich lag das sowjetische Militärkrankenhaus auf dem sogenannten Arsenalplatz mitten in der Stadt. Die russische Schule war in einer ehemaligen riesigen noch zu Kaisers Zeiten gebauten Kaserne untergebracht. Das ist heute unser imposantes Rathaus.
    Auch ich ging öfter ins »Russenmagazin«, wo noch mit Kugel-Rechenmaschinen gerechnet wurde, die wir aus Urgroßmutters Zeit kannten. In dieser Verkaufsstelle konnte man hin und wieder begehrte Dinge erwerben, z. B. Krebsfleisch aus dem Schwarzen Meer, Sekt und gar echten Kaviar.
    Nicht zufällig hatte ich in vielen Vorträgen auf die neuen Entwicklungen in der sowjetischen Literatur hingewiesen. Atemlos las ich Boris Wassiljews »Schießt nicht auf weiße Schwäne« – ein Umweltschutzroman eines Militärschriftstellers –, Tschingis Aitmatows antistalinistisches Buch »Der Tag zieht den Jahrhundertweg« und seine »Richtstatt«, Wassili Schukschins Aufsätze, Wladimir Tendrjakows Erzählungen und Walentin Rasputins die weltökologischen Herausforderungen thematisierenden Roman »Abschied von Matjora«, die Gedichte und Lieder von Jewgeni Jewtuschenko bis Wladimir Wyssozki und Bulat Okudschawa – eben nicht nur die herübergeschmuggelten Bücher von Andrej Sacharow, Alexander Solschenizyn und Joseph Brodsky. Mich überzeugten die großartigen Reden und die literarischen Werke des Lew Kopelew, insbesondere sein mich so bewegendes, mein weiteres Leben und Denken prägendes Buch »Aufbewahren für alle Zeit«. Bei der Lektüre hatte ich begriffen, was es heißt, Versöhnung zu üben und damit die Spirale von Gewalt undGegengewalt zu beenden. Dass der Versöhnung Suchende es nie leicht hat, weder bei Freund noch bei Feind, war mir bewusst geworden, bevor ich es selber erlebte. Aber wie viel mehr hatte Lew Kopelew – mitten im Krieg! – eingesetzt, als ich das je wagen musste.
    Tschingis Aitmatow und Friedrich Hitzer in meiner Wohnung, 2000
    Als wir im Oktober 1989 forderten, dass das Kriegssymbol-Denkmal, jener legendäre T34 auf einem Sockel vor der Schlosskirche, verschwindet, war Renate Keller, eine Pastorin und Engagierte in der Friedensbewegung, extra zuvor zum Kommandanten gegangen, um ihm zu sagen, dass sich diese Forderung nicht gegen die Sowjetarmee richten würde, sondern die Friedens- und Abrüstungspolitik Gorbatschows unterstützen wolle. Konversion hieß das Schlüsselwort, weltweit. Wir haben sie noch immer vor uns.
    1993 haben wir im Wittenberger alten Rathaus in einem Festakt die Sowjetarmee verabschiedet, die nun genau 48 Jahre hier stationiert gewesen war. Die Atmosphäre war noch immerverkrampft. Das löste sich erst, als genügend Schnaps geflossen war. Für die Offiziere war es ein Abschied ins Ungewisse. Mich störte, dass zu diesem Abschied lediglich Offiziere dabei sein konnten und kein einziger

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