Klar sehen und doch hoffen
militärischer Auftrag.« Wieder bekam er Beifall.
Ich bedankte mich bei ihm, fragte aber, ob er sicher sei, dass alle Offiziere so gedacht hätten. Im Herbst 89 war es schließlich für viele, die an die Sache des Sozialismus und die Proklamationen der SED geglaubt haben, um das Ende ihres Lebensprojektes gegangen. Und wer einmal einen »unbedingten Gehorsam« gelobt hat, der ist in der Gefahr, diesen Auftrag gegen sein eigenes Wissen und Gewissen auch auszuführen. Das wissen wir aus der Geschichte. Doch ich hatte keinen Anlass, diesem Offizier nicht zu glauben.
ERNÜCHTERUNGEN –
WEDER VERKLÄRUNG NOCH DÄMONISIERUNG
DER TAG, AN DEM DIE D-MARK KAM
Ein zuerst in Leipzig Anfang 1990 gezeigtes Demo-Plakat hat via Westfernsehen Geschichte geschrieben: »Kommt die D-Mark nicht zu uns, gehen wir zu ihr!« War dies eine Einzelmeinung oder spiegelte sich darin eine millionenfache Sehnsucht, verbunden mit der Drohung, den Westen mit Massenübersiedlung zu überfluten? DDR-Bürger waren ja Deutsche, konnten nicht abgewiesen werden, und die Aufnahmelager waren heillos überfüllt. Vielen Ostbürgern war die DM geradezu als Währung der Freiheit, als eine Fata Morgana nahen Lebensglücks im Wohl-Stand erschienen, ehe sie begriffen, dass das eine harte Währung war. Sie wollten nunmehr fürs gute Geld gute (West-)Produkte kaufen und übersahen, dass sie damit den Ast absägten, auf dem sie selber saßen. Ein ruinöser Kälteschock für die meisten DDR-Betriebe war aufgrund des technischen Rückstandes, 50 Prozent geringerer Arbeitsproduktivität und der Attraktion von Westwaren unvermeidlich. Mit der Westgeld-Sehnsucht wurde Politik gemacht. Ihr kriegt das Geld und das sehr bald, wenn ihr nur die wählt, die den Schlüssel zur Kasse haben. Deutsche Einheit durch Deutsche Mark unter Führung von Helmut Kohl.
Irritiert und enttäuscht war ich, da so schnell vergessen schien, dass wir für Freiheit und Selbstbestimmung, für Demokratie und umfassende Menschenrechte, gegen jedwede Bevormundung auf die Straße gegangen waren und den Mächtigen ihre Macht – personell, strukturell und ideologisch – abgerungen hatten. Als den eigentlichen Einheitstaghatte ich schon 1990 den 1. Juli ausgemacht. DDR-Deutsche bekamen endlich die harte Währung, konnten sich Ersehntes selber kaufen, in die ganze Welt reisen … Zugleich wurde es für manchen sehr hart, weil nun jeder zusehen musste, wie er durchkommt. Freiheit hatte ihren Preis, nachdem ihr Gewinn so gefeiert werden konnte. Wir hatten nicht nur anderes Geld, sondern mussten es von heute auf morgen verdienen – unter erbarmungslos wirkenden Bedingungen des freien Wettbewerbs.
Manche hatten gemeint, sie könnten weiter so arbeiten wie in der DDR und so verdienen wie in der Bundesrepublik. Die DDR war aber nicht zuletzt daran gescheitert, dass sie permanent mehr ausgab, als sie erwirtschaftete. Die D-Mark bedurfte des freien Marktes, während die Ost-Mark eine politische Währung gewesen war: Alle fanden einen Arbeitsplatz – wenngleich auch oft nur Beschäftigung ‒, alleinerziehenden Müttern mit Kindern konnte nicht gekündigt werden, Mieten waren für jedermann bezahlbar, niemand musste wirklich hungern. Das gibt den Stoff für die selbstverlogene DDR-Nostalgie noch nach 22 Jahren. Das billige Brot wurde nämlich auch massenhaft verfüttert, die Häuser verfielen, Energie wurde in einem energiearmen Land verschleudert. So ging es nicht weiter. Wir produzierten und lebten auf Kosten der Zukunft. (Letzteres machen wir seit 22 Jahren weiter, nur viel effizienter. Und die DDR-Verschuldung ist ein Klacks gegen die in Griechenland oder Spanien.) Zunächst waren die fünf neuen Länder Billiglohn- und Absatzland für den Westen. (Das hat sich inzwischen weiter nach Osten verschoben, nunmehr bis in den fernen Osten.)
Mit dem Geld wechsel haben wir vor 22 Jahren einen mit Hoffnungen verknüpften System wechsel vollzogen. Dieses System ist jetzt weltweit in einer tiefen Krise. So findige wie gewissenlos-gierige Spekulanten und Finanzhalunken könnenganze Volkswirtschaften ruinieren und die Weltwirtschaft in eine bedrohliche Krise führen. Die öffentliche Hand zahlt für horrende Verluste, weil das System selbst zur Debatte steht. Das Kartenhaus der virtuellen Finanzwelt würde bei einem Crash auf die reale Welt zurückschlagen und alles zusammenbrechen lassen. Der damalige Sozialstaat war nicht mehr bezahlbar, der heutige gibt sich schrittweise auf und verschärft die Umverteilung.
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