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Klar sehen und doch hoffen

Klar sehen und doch hoffen

Titel: Klar sehen und doch hoffen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Schorlemmer
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fremd. Nie ging ich leichtfertig das fragwürdige Wagnis ein, auf eine Kanzel zu steigen und dort – womöglich mit dem Gestus der Verbindlichkeit! – gottesgewiss und menschennah von Gott zu reden. Wer Gott ausmalt, schadet gleichsam dem Himmel. Wie sollte ich mir anmaßen, über Gott zu reden, wo doch jeder Kanzelgang die Bereitschaft für ein Gespräch signalisiert, das Gott gleich mit mir führen wird – während ich rede. Aus solcher Widerspruchslage kann nur »Furcht und Zittern« entstehen, wenn man die Stufen hinaufsteigt und von oben auf Menschen schaut, die ihre Blicke erhoben haben. Gewiss, auch hier wirken mitunter gegen den eigenen Willen die menschlichen Anfechtungen: Wie schnell hört man die eigene Stimme und nur sie und neigt dazu, sie gewissermaßen einflüsternd zu verstärken; wie rasch verfällt man da oben, wo niemand widerspricht, in Töne einer unanfechtbaren Wahrheit; wie leicht leitet man aus erwähnten erhobenen Köpfen im Kirchenschiff einen Anhauch der Selbstüberhebungab. Die wahre Kraft des Predigens liegt im Gleichmaß der Demut, mit der man die Kanzel hinauf- wie hinabsteigt.
    Einem Wort »von weit her« das Wort reden. Ein Wort weitersagen, über das ich nicht verfügen kann, dem ich mich füge. Ohne mich zu verkleinern, ohne meinen Verstand beiseite zu lassen, ohne mein zweifelndes Fragen zu unterdrücken. Ein Wort rezitieren und öffentlich reflektieren, das mich erhebt, das andere aufrichtet und ausrichtet. Gewiss sein und demütig bleiben, denn unser Wissen ist Stückwerk. Wir sehen jetzt durch einen dunklen Spiegel. Einst werden wir erkennen, wie wir erkannt sind.
    »Es bleiben aber Glaube, Hoffnung, Liebe. Diese drei. Die Liebe aber ist die größte unter ihnen.« (1. Kor. 13, 13) Was sollst, was willst du dazu noch sagen, ohne das Wort zu beschädigen? Gewagte und abwägende, ausgewogene und angemessene eigene Worte dazu finden, immer unter dem Wort, nicht über ihm.
    Ausgewichen bin ich unmittelbarer politischer Verantwortung vorübergehend nicht. Aber ich blieb ein Mensch der überschaubaren Kreise, und alle Erfahrung bestätigte meine ursprüngliche Vorsicht, gewissermaßen gänzlich in Politik aufzugehen. Für die SPD war ich vier Jahre Fraktionsvorsitzender im Wittenberger Stadtrat. Es wurde immer schwieriger, Sonntagsrede und die Alltagswirklichkeit hilfreich, wahrhaftig und konkret zusammenzubringen. Von manchen Christen, die politisch anders dachten und agierten, wurde ich nur noch als Sachwalter der SPD bewertet, und Nichtchristen sahen in mir einen Prediger im Stadtrat. Ich musste mir gleichsam gespalten und also beschädigt vorkommen: der Christ als Parteigänger, der Sozialdemokrat als Seelsorger. Alles nur halb, einzig diese Gespaltenheit: ganz. Das wollte ich nicht, ich spürte, dass dieser Zustand mich von mir selber entfernte. Ich wollte Sachwalter der bedrängten Menschenim Licht des Evangeliums sein und bleiben. Ich hielt das Parteiamt nicht durch – und war es zufrieden. Denn ich wollte weiterhin intensiv die Bibel studieren und nicht Aktenberge durchwühlen. Ich wollte dem politischen Konkurrenten (nicht: Gegner!) gerecht werden und ihm nicht ständig aus Prinzip eins auswischen.
    Schon in der DDR verstand ich mich nicht als ein zwangsläufig in der Kirche geparkter Politiker. Nachdem wir den kommunistischen Weltanschauungsstaat abgeworfen hatten, sah ich den Auftrag der Kirche nicht darin, Kräfte für den politischen Betrieb zu liefern – nein, Kirche bleibt für mich eine Institution mit einem sehr eigenen gesellschaftlichen Impuls. Zu ihrem Auftrag gehört, ein bestimmtes kritisches Amt in der politischen Öffentlichkeit wahrzunehmen, also Stimme derer zu bleiben, die in dieser Öffentlichkeit keine Stimme mehr haben oder bekommen. Eine Mission zu erfüllen, aber weder utopisch überspannt noch besserwisserisch eifernd.
    Mein zweiter Grund, nicht hauptamtlich in die Politik zu gehen, ist schlichtweg Selbsterkenntnis: Ich verfüge nicht über das nötige Organisationstalent. Vielleicht resultiert daraus ein gewisser, im Getriebe der Praxis störender Stolz: Ich wollte mich nicht in die Rolle dessen begeben, der auf Ratgeber hören muss, weil er sich selber nicht genügend kundig machen kann.
    Ein dritter Grund für die klare Abstandsentscheidung: Mir würde im Geschäft des Politischen, das sich mehr und mehr zur Politik des Geschäfts entwickelt hat, keine wirkliche Lobbyarbeit gelingen – die doch vornehmlich darin bestünde, sich dringlicher um

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