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Klar sehen und doch hoffen

Klar sehen und doch hoffen

Titel: Klar sehen und doch hoffen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Schorlemmer
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Professor in Bochum.
    Diverse Zersetzungsmaßnahmen gegen die Studentengemeinde konnten uns nicht brechen und lahmlegen. Einer der Stadtpfarrer wurde von der Staatssicherheit aufgesucht, man bemühte sich um seine Mitarbeit. Er hat sich sofort bei mir gemeldet, mir reinen Wein eingeschenkt. Die Gespräche mit dem Kreisdienststellenleiter Stemmler hat er weitergeführt, mich aber immer darüber informiert. (So einfach ist das mit dem IM-Etikett eben nicht, wie es nachträglich erscheint.) Daher wusste ich, wer jeweils gefährdet war – zum Beispiel der Sohn eines VVB-Generaldirektors, der sich taufen lassen wollte.
    Wir haben in diesen sieben Jahren sehr intensive Bibellektüre betrieben, aber uns zugleich mit aktuellen und prinzipiellen gesellschaftspolitischen Fragen beschäftigt. Ein Höhepunkt wurde der 1. August 1975 mit einem Fest im Kreuzgang des Domes, wir feierten die Unterzeichnung der Schlussakte von Helsinki. Ich gab damals die Parole aus: »Jetzt können Menschen, die hier nicht mehr leben wollen, das Land geregelt verlassen. Aber seinen Ausreiseantrag muss man sich verdienen, er ist kein Lohn für Anpassung und Karriere, um sich nun still und heimlich davonzumachen. Man sollte also nur dann weggehen, wenn man wirklich nicht mehr kann, vorher aber alles versucht hat, sich für die Verbesserung der Verhältnisse einzusetzen.«
    Wir sind in unserer Arbeit weder von kirchlichen Amtsträgern noch von der Staatssicherheit offen erkennbar behindert worden. Dass die fleißige Stasiinformantin Marion einenmehrseitigen Bericht über ein Seminar zum Thema »Forderungen der Freiheit« in Bad Lauchstädt verfasste, ahnten wir nicht. 20 Problematisch wurde es für mich und die Studentengemeinde, nachdem 1976 im RIAS-Frühprogramm ein Bericht des Kirchenredakteurs Wolf-Dieter Zimmermann gesendet worden war. Vorsichtshalber hatte Zimmermann die darin Vorkommenden anonymisiert, also auch mich, aber natürlich wurde Eingeweihten sofort klar, um wen es in der Reportage ging. Ein Student in Karl-Marx-Stadt nahm den Bericht auf und verbreitete ihn. Bei einer Hausdurchsuchung wurde das Tonband gefunden. »RIAS« hieß das verhängnisvolle Reizwort. Der Tatbestand: Verbreitung konterrevolutionärer Tonträger. Der Generalsekretär der Evangelischen Studentengemeinde Jens Langer wurde von »staatlichen Organen« auf den Rundfunk-Beitrag angesprochen, ich selbst nicht. Der Student in Karl-Marx-Stadt wurde exmatrikuliert.
    Intensiv beteiligten wir uns an der Vorbereitung des regionalen Kirchentages im September 1976 in Halle, auf dem die Staatssicherheit mit übermäßig vielen Leuten im Einsatz war. Ich hatte damals den »Abend der Begegnung« in der zentral gelegenen Marktkirche zu organisieren. Dort haben wir in einem Abendgebet Gedichte gelesen, auch Heinz Czechowskis Gedicht »D«, also ein Gedicht über Deutschland. Ich hatte aus Obstkisten, die mit Tapete umwickelt waren, eine große Mauer aufgebaut und diese Mauer unter großem Beifall symbolisch durchbrochen. Symbolische Akte können Akte der Freiheit sein, gerade dann, wenn die Wirklichkeit dem noch nicht nachkommt, so nehmen sie doch Zukunft voraus, nähren Sehnsucht und stärken Hoffnung.
    Während der Schlussveranstaltung auf dem Sportplatz der Deutschen Reichsbahn stand (rein zufällig?) auf dem Bahndamm daneben, für uns alle sichtbar, ein Zug, vollgestopft mit Militär. Nach der Selbstverbrennung des Pfarrers Brüsewitzim August und dem Auftritt von Wolf Biermann am 11. September in der Nikolaikirche in Prenzlau und nach Erscheinen des Buches »Die wunderbaren Jahre« von Reiner Kunze war die Anspannung besonders groß.
    Im Rahmen des Semesterthemas »Sprache als umfassender Lebensausdruck« hatten wir für den 26. Oktober 1976 einen Abend mit Reiner Kunze geplant. Er sagte telegrafisch ab, weil er eine Verhaftungswelle fürchtete. Eine Vertrauensstudentin und ich haben Reiner Kunze daraufhin in Greiz besucht. Wir vermochten ihn zwar nicht umzustimmen, verabredeten aber ein Seminar mit ihm, das im April 1977, kurz vor seiner Ausreise in die Bundesrepublik, stattfand.
    Auf einer Ersatzveranstaltung für die ausgefallene Kunze-Lesung im Merseburger Dom trugen wir Texte von ihm, Camus und Kafka zur Freiheit der Kunst vor. Etwa 150 Zuhörer waren gekommen. Sie wurden beim Hinausgehen von Herren gemustert, die sich in unverhohlener Drohgebärde rauchend vor den Türen postiert hatten. Als ich mit einer kleinen Gruppe zu den 400 Meter entfernten Räumen der

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