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Klassenziel (German Edition)

Klassenziel (German Edition)

Titel: Klassenziel (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T. A. Wegberg
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was zu essen zu machen.»
    «Na gut, dann lass uns doch was bestellen!», schlage ich vor.
    Während wir vor dem Fernseher sitzen und die Pizza aus der Hand essen, fragt er, wie mein Tag so war. Ich gebe ihm eine Kurzzusammenfassung und lasse jegliche Bewertung weg. Meinen Zwergenaufstand im Deutschunterricht spare ich vorsichtshalber auch aus. Er hört sich alles kauend an, ab und zu spült er mit Bier nach. Dann sagt er: «Sieht so aus, als wärst du allmählich angekommen.»
    Einerseits ist es genau das, was ich hören will. Es ist ja sogar genau das, was ich selbst bis vor zwei Stunden gedacht habe. Ich fühle mich ein bisschen getröstet, dass mein Vater die Lage so positiv einschätzt, denn er ist achtundvierzig und kein Landei, also auch nicht so naiv wie ich. Aber widersprechen muss ich trotzdem. «Das ist noch viel zu früh, um so was sagen zu können.»
    «Ja? Meinst du?» Er schiebt mir mit einem Stöhnen seine Pizzaschachtel rüber. «Puh, ich kann nicht mehr. Willst du noch?»

    G örlitz stellte mir noch viele Fragen. Er wollte wissen, ob Nick Andeutungen gemacht hatte. Ob er Komplizen hatte. Ob er Tagebuch oder einen Blog geführt hatte. Zu wem er Kontakt hatte. Ob ich mal gesehen hätte, dass er eine Waffe hat. Ob ich gewusst hätte, dass er Menschen töten will. Das kriegte ich schon alles mit, und ab und zu gab ich auch irgendeine Antwort, aber eigentlich dröhnte im Hintergrund immer nur so eine Art Glocke in meinem Gehirn. Nick ist tot. Nick ist tot. Nick ist tot.
    Die Fragerei hörte erst auf, als ich plötzlich bewusstlos aus dem Sessel rutschte. Na ja, vielleicht war ich auch bloß eingeschlafen. Jedenfalls kam ich irgendwann zu mir, da lag ich auf der Couch, und eine fremde Frau klebte mir gerade ein Pflaster in die Armbeuge. Sie guckte mir dabei zu, wie ich meine Augen offen zu halten versuchte. «Na, geht’s wieder? Du solltest unbedingt was trinken. Hier.» Ich nahm den Becher und probierte vorsichtig einen ersten Schluck. Igitt. Pfefferminztee, ohne Zucker, und dann auch noch kalt. Andererseits hatte ich wirklich den krassesten Durst.
    Meine Mutter hatte am Esstisch gesessen, neben diesem Harry-Verschnitt, und kam zu mir rüber. Die Frau machte ihr Platz und ging raus. «Ich hab mir so Sorgen um dich gemacht», sagte meine Mutter. «Ich dachte, du wärst … ich dachte, Nick hätte …» Sie umarmte mich ganz feste. Und ich sie auch. Wir heulten uns gegenseitig die Schultern nass. Ich wusste nicht, was ich sagen sollte.
    Eigentlich hätte ich meine Mutter ja gerne irgendwie getröstet, ich meine, sie hatte ihren Sohn verloren, und alle sagen immer, das ist das Schlimmste, was passieren kann, wenn man sein Kind verliert. Aber ich war doch selbst so fertig und verzweifelt. Ich weiß nicht, ob ich mehr über meinen eigenen Schmerz heulte oder über den meiner Mutter.

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    I ch schlafe ungeheuer schlecht und träume einen Haufen wirres Zeug, und als ich morgens in der Küche stehe, weiß ich nicht so recht, ob ich jetzt die Karotten und die Paprikaschoten schneiden soll oder nicht. Ich meine, was ist, wenn meine vermeintlichen neuen Freunde mich total ignorieren? Wenn sie einfach lachend gemeinsam abhauen und nicht mal daran denken, mich mitzunehmen?
    Ach, egal – ich kann mein Gemüse ja notfalls auch alleine essen. Trotzdem ist nichts mehr von dem Hochgefühl übrig, mit dem ich gestern den Kräuterquark-Dip angerührt habe, sondern jetzt habe ich eher Angst vor einer furchtbaren Blamage oder Zurückweisung. «Mann, ist das gesund», sagt mein Vater und schnappt sich einen Paprikastreifen vom Schneidbrett. «Muss ich mir Sorgen um dich machen?»
    Ich packe alles in eine Plastikdose und setze mich zu ihm an den Tisch, um meinen Kaffee zu trinken. «Ähm, ich bräuchte noch Geld», sage ich. «Heute werden die Essensmarken verkauft.» Picknick hin oder her, es kann ja bestimmt nicht schaden, ein paar von diesen Plastikchips in der Tasche zu haben. Damit bin ich unabhängig.
    «Du machst mich arm», sagt mein Vater seufzend und zieht das Portemonnaie aus der Hosentasche. Da hat er gar nicht so unrecht. Allein die Bücherbestellung bei Amazon hat fast zweihundert Euro gekostet. «Aber du bist es mir wert», fügt er lächelnd hinzu und schiebt mir einen Fünfziger über den Tisch.

    I mmer noch waren fremde Leute in unserem Wohnzimmer, wenn auch weniger als vorhin. Manchmal liefen welche einfach mittendurch, als würden sie bei uns wohnen. Ein paar hatten diese

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