Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kleine Luegen erhalten die Liebe

Kleine Luegen erhalten die Liebe

Titel: Kleine Luegen erhalten die Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katy Regan
Vom Netzwerk:
Schloss war plötzlich wie von hinten angestrahlt, und Mia spürte, wie die vertraute Last der Einsamkeit erneut von ihr Besitz ergriff. Es war erst halb sieben Uhr abends, sodass sie also noch drei Stunden Tageslicht haben würde – und was zum Teufel sollte sie damit anfangen?
    Früher hatte sie den Sommer geliebt – ein richtiges Sommerkind war sie gewesen, bekannt dafür, die Leute schon im März zu Grillabenden einzuladen und dann bis Oktober keine Strümpfe mehr anzuziehen. Heutzutage fürchtete sie jedochdie langen Sommerabende in ihrer Wohnung, die hier oben im Norden sogar noch länger waren als in London, da die Sonne im Juli manchmal erst nach halb zehn hinter dem Schloss versank. Im Winter konnte man wenigstens die Heizung aufdrehen, um fünf Uhr nachmittags eine DVD einlegen und den Tag ausklingen lassen.
    Mia öffnete das Fenster und lauschte: Verkehrsgeräusche, das rhythmische Rattern eines Zuges auf dem Weg zum Lake Distrikt und irgendwo auch Kirchenglocken. Sie erschauderte und drückte Billy an sich, weil diese Geräusche, dieses lebhafte Licht und der Geruch der Luft nach einem Sommerregen sie an die gleiche Zeit vor einem Jahr erinnerten, als all ihre Freunde zum Water Witch hinausgefahren waren, um am Kanal ein Bier zu trinken, und sie hier in diesem Apartment festgesessen hatte, mit einem winzigen, jammernden und zappelnden Baby, das sie eigentlich gar nicht kannte.
    Vier Monate vor der Geburt und gequält von Kummer und Trauer, hatten sie und Eduardo sich mehr gezwungen gesehen, nach Lancaster zurückzuziehen, als wirklich freiwillig den Entschluss zu treffen. Mia hatte ihren geliebten Job bei Primal Films aufgeben müssen, weil die vielen Arbeitsstunden für eine Schwangere einfach nicht mehr zu schaffen gewesen waren. Und sie hatte es aufrichtig versucht. In der letzten Woche, bevor sie schließlich aufgab, hatte sie mit ihrem Fünf-Monate-Bauch die Requisitenläden Londons durchforstet, an einem Tag einhundertfünfzig verschiedene Uhren beschafft und einen ganzen Raum voller Mangos am Tag darauf. Aber sie war todmüde; die Verkäufer in den Requisitenhäusern sahen sie an, als wäre sie verrückt. So blieb ihr nichts anderes übrig, als aufzugeben und vom sechsten Monat an von Arbeitslosengeld zu leben.
    Ohne Job war London jedoch viel zu teuer, und sie war erstsiebenundzwanzig, und ihre Freunde verbrachten noch fröhlich ganze Wochenenden mit Clubbesuchen. In Lancaster waren zumindest Melody und Norm, die ihr helfen konnten, und das Leben dort war billig, die Mieten mindestens um ein Drittel niedriger als in London.
    Aber es war nicht dasselbe Lancaster, das sie als sorglose Studentin gekannt hatte, und es gab richtig finstere Zeiten, extrem schlechte Zeiten, in denen sie bezweifelte, dass sie sie überleben würde. Wie einmal, als sie einen Magen-Darm-Infekt hatte (Stillen plus Norovirus war keine Kombination, die sie je wieder erleben wollte). Oder als Billy einen Fieberkrampf bekam. Sie hatte gedacht, ihr Baby sterbe, und war gezwungen gewesen, im Nachthemd bei ihren Nachbarn anzuklopfen, um ins Kinderkrankenhaus gefahren zu werden. »Das ist nichts – solche Fieberkrämpfe sind nichts Ungewöhnliches«, hatte irgendein junger, gefühlloser Arzt im Krankenhaus gesagt. Mia hätte ihn daraufhin am liebsten gepackt, geschüttelt und ihn angeschrien: Nein, es war bloß die schlimmste Nacht meines ganzen Lebens!
    Und da war die Zeit – Billy musste um die sechs Monate alt gewesen sein –, als sie ihn nach drei Nächten des Zahnens und keiner Minute Schlaf für sie in abgrundtiefer Verzweiflung in einem Taxi zu Mrs. Durham gebracht hatte.
    Bei ihrer Rückkehr aus dem Pub, in den sie nur auf einen Sprung gegangen war, um ein kleines Bier zu trinken und sich ein wenig zu beruhigen, stellte sich heraus, dass Mrs. Durham ihn Patrick nannte und ihm ihre Sammlung königlicher Fanartikel vorführte. Und Billy? Er saß zwischen ein paar dicken Kissen und war offenbar wunschlos glücklich. So ein Lausebengel! Mia hätte nicht sagen können, wer an jenem Tag verrückter war, Mrs. Durham oder sie.
    Ein Regenbogen erschien über dem Schloss. »Schau mal,Billy! Ein Regenbogen. Sieh dir nur all die schönen Farben an!« Mia senkte den Kopf und atmete den Babygeruch ein, der seinen Haaren entströmte. »Wir haben überlebt, Billy, nicht wahr? Gott weiß, wie, aber wir haben überlebt.«
    ♥
    Sie badete ihn und lauschte dabei einer Radiosendung über irgendein Festival. Ah, junge Leute, die ein

Weitere Kostenlose Bücher