Kleine Rache zwischendurch (German Edition)
als sie längst verschwunden war.
9.
Leo Thorn hatte sich gleich an seinem ersten Arbeitstag bei Großmann & Sichel das lokale Computernetz der Firma angeschaut. Er erwartete Windows als Betriebssystem, aber zu seiner Überraschung fand er genau den Unix-Dialekt, mit dem er während seines Studiums viele Stunden gearbeitet hatte. Er musste in seinem Gedächtnis nicht lange nach demjenigen suchen, der hier Unix installiert hatte - er wusste es einfach. Sein Vorgänger hieß Wolfram Krefeld. Krefeld war nur zwei Matrikel vor ihm an die Hochschule gekommen und hatte ein paar Semester lang als Hilfsassistent gearbeitet. So hatten Krefeld und Thorn sich kennengelernt. Und Krefeld hatte dieses Unix immer wieder als das beste Betriebssystem angepriesen.
Das System lief einwandfrei, unerwünschte Zugriffe von außen waren nach derzeitigem Wissensstand unmöglich, und auch innerhalb der Firma gelangte jeder nur an die Daten, die für ihn bestimmt waren. Computer und Software waren ganz modern, es gab nichts auszusetzen und nichts zu verbessern. Krefeld hatte gute Arbeit geleistet. Leo Thorn freute sich auf diese Arbeitsstelle, weil er etwas übernahm, was tatsächlich hervorragend funktionierte. Viele seiner Kommilitonen klagten, weil sie sich mit wüst zusammengeflickten Computernetzen abfinden mussten, die eher Museen glichen oder einer Sammlung der unterschiedlichsten Marken und immer wieder ausfielen. Hier war das alles ganz anders. Alle Computer vom gleichen Hersteller, in der ganzen Firma ein einheitliches Netz und sauber definierte Zugangsbeschränkungen, die von der Direktion aber Zugangsberechtigungen genannt wurden oder auch Informationswege hießen.
Leo Thorn lehnte sich zurück und lächelte zufrieden. Wenn er es recht betrachtete, gab es für ihn jetzt gar nichts zu tun. Er konnte sich in aller Ruhe in der Firma umsehen und sein Aufgabengebiet nach und nach erkunden, aber das hatte keine Eile.
Krefeld hatte das System neu aufgebaut und verschiedene Programme installiert. Aber was hatte er getan, nachdem er damit fertig war? Reparaturen konnten bei der Qualität, die er eingekauft hatte, nicht viele angefallen sein. Ist er im Betrieb umhergeschlurft mit Händen in den Taschen? Hatte er angefangen zu faulenzen? Und war das der Direktion aufgefallen? Thorn nahm sich vor, unbedingt für Arbeit zu sorgen. Jeder musste sehen, wie stark er beschäftigt war. Es gab Feuerwehrmänner, die eine Scheune abfackelten, wenn es lange nicht mehr gebrannt hatte. Doch wäre er fähig, Computer zu sabotieren? Vielleicht genügte es, unbemerkt Fehler einzubauen, die er danach leicht wieder beseitigen konnte. Das wäre dann nicht nur eine Maßnahme der Arbeitsbeschaffung, sondern zugleich eine Demonstration seines Könnens. Leo Thorn zuckte die Schultern und verschob die Antwort auf diese Frage auf später.
Bei dem Gedanken an Krefeld verschwand sein Lächeln aus dem Gesicht. Thorn fragte sich, warum Krefeld entlassen worden war. Warum feuert ein Unternehmer seinen Informatiker, wenn der ein so gut funktionierendes Netz aufgebaut hat? Er wollte Krefeld anrufen oder ihm eine Mail schicken, aber er verschob das auf den Feierabend. Er wollte nicht gleich an seinem ersten Arbeitstag die Firmenrechner privat nutzen. Wer weiß, vielleicht wurden alle Aktivitäten irgendwo registriert, und dann würde er sich womöglich im Personalbüro anhören müssen, er sei an dem und dem Tage soundso viele Minuten lang auf dieser oder jener Website gewesen. Krefeld hatte so eine Registrierung bestimmt eingebaut. Da war er sich ganz sicher.
Am gleichen Abend hatte Thorn versucht, über das Internet an Krefeld heranzukommen, aber der schien seinen Computer nie einzuschalten. Beim Telefonieren meldete sich immer nur der Anrufbeantworter, und Krefelds Handy reagierte gar nicht. Thorn rief Krefelds Eltern an, doch die kannten nur die neue Arbeitsstelle ihres Sohnes. Wo er sich jetzt aufhielt, konnten sie nicht sagen. Aber wenigstens den Namen seiner Freundin erfuhr er von ihnen.
Diese Freundin sagte, ihr Wolfram habe sich für ein paar Wochen verabschiedet, weil er für die Steuerfahndung oder so etwas Ähnliches im Ausland verdeckt arbeiten müsse. Leo Thorn, am anderen Ende der Leitung, schwieg erst eine Weile, aber dann meldete er leise Zweifel an dieser Steuerfahndung im Ausland an. Er glaubte nicht daran. Und wieso hatte Krefeld keine Adresse hinterlassen? Aber die Freundin zerstreute seine Zweifel, indem sie ihm von dem Vorschuss erzählte, den
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