Kleine Suenden zum Dessert
wir müssen auf unsere Herzen hören und an das Schicksal glauben. Wir dürfen die Aura der Liebe nicht von negativen Einflüssen beschmutzen lassen.«
Für Graces Geschmack hatten Sandys Formulierungen Groschenheftniveau, doch Frank war offenbar hingerissen davon.
»Nur weil man es auf einen Computerbildschirm schreibt, anstatt es auszusprechen, ist es nicht weniger real, wissen Sie. Und manchmal kann man mit ein paar geschriebenen Worten mehr sagen als in einem ganzen Gespräch.« Da hatte er nicht Unrecht. Ewan und sie führten weiß Gott viele Gespräche, in denen absolut nichts gesagt wurde.
Als sie den SPAR-Markt erreichten, war Grace ziemlich melancholisch zumute. Wenn es da drinnen Wein gäbe, würde sie eine Flasche kaufen. Oder irgendeinen anderen Alkohol. Ihr war so danach.
Der Supermarkt war klimatisiert und leer. Neonlicht spiegelte sich in Produkten, die versprachen, Hunger und Durst zu stillen und selbst hartnäckigste Flecken zu entfernen. An der Kasse saß ein Mädchen mit fettigen Haaren. Innerhalb eines Sekundenbruchteils hatte sie Grace gemustert und als ungefährlich eingestuft und senkte den Blick wieder auf ihre Teeniezeitschrift. Grace hätte ihr nur zu gern erzählt, dass sie heute früh den Abzug eines Gewehrs durchgedrückt hatte - eines echten Gewehrs!
Wahrscheinlich könnte sie das Mädchen damit gar nicht erschrecken. Grace wurde klar, dass sie beinahe alt genug war. um ihre Mutter zu sein, und in ihren Designerjogginghosen und den weißen Laufschuhen wie eine typische Mittelschicht-Vorort-Ehefrau-und-Mutter aussah, die für das Frühstück am morgigen Tag eine Tüte Milch für die Kids besorgen wollte und für sich eine heimliche Flasche Wein. Keinerlei Bedrohung.
Sie nahm einen Einkaufswagen und belud ihn mit Erdbeermarmelade und einer Packung Brot. Aus der Kühltheke holte sie Milch und Saft und Butter. Wären acht Würstchen genug?
Sie betrachtete gerade unschlüssig eine Packung Frühstücksspeck, als ein weiterer Kunde kam und zur Kasse ging - ein gut aussehender Bursche. Das Mädchen schaute auf, wurde rot und begrüßte ihn. Er erwiderte etwas, und sie lachte und schob ihm eine Schachtel Zigaretten über den Ladentisch. Sie konnte also auch freundlich sein. Überströmend freundlich sogar. Auch Grace lächelte, wohlwollend und vergessen im Hintergrund, und sie dehnte den Taillengummi ihrer teuren Jogginghose ein wenig und ließ das Päckchen Frühstücksspeck in ihren Slip gleiten. Die kalte Plastikhülle auf der Haut zu spüren, verursachte ihr einen wohligen Schrecken. Aus dem Augenwinkel sah sie den Mann Geld über den Tresen reichen. Sie ließ den Gummizug zurückschnappen und zog ihr T-Shirt herunter, ging ein paar Schritte den Gang entlang und nahm einen Becher Sauerrahm aus der Kühlung. »Gestatten Sie?«, sagte der Mann und trat auf seinem Weg nach draußen an ihr vorbei.
»Natürlich«, erwiderte Grace gelassen. Er ging. Das Mädchen an der Kasse wandte sich ihr zu. Hatte sie etwas bemerkt? Erst jetzt wurde Grace so richtig bewusst, was sie getan hatte. Sie hatte geklaut! Sie war eine Ladendiebin! Gleich würde sie versuchen, mit einer Packung Frühstücksspeck in der Unterhose zu entkommen, sie, Grace Tynan, liebevolle Mutter von Zwillingen und angesehene Immobilienmaklerin! Hatte sie den Verstand verloren? In ihren Ohren summte es plötzlich, und alles wirkte heller - wie in einem Film. Die Packung Speck war offenbar undicht, denn Grace spürte Flüssigkeit austreten. Das Mädchen an der Kasse machte seine Zeitschrift zu. Drohend? Um Zeit zu gewinnen, las Grace die Angaben auf dem Sauerrahm. Hundertachtzig Kalorien pro Becher! Sie schnalzte missbilligend mit der Zunge und stellte ihn kopfschüttelnd zurück, bückte sich stattdessen nach griechischem Joghurt. Kaum weniger fett machend. Die Bewegung hatte den Speck ins Rutschen gebracht. Er glitt eklig feucht zwei Zentimeter abwärts. Großer Gott! Was sollte sie jetzt tun?
»Brauchen Sie Hilfe?«, fragte das Mädchen. »Ich? Nein!« Ablenken, ablenken, kommandierte eine energische Stimme in Graces Kopf. »Oder vielleicht doch. Haben Sie fettarmen Joghurt?« Das war genau das, was eine dünne Mittelschichtfrau wie sie essen würde. »Der ist aus. Wir warten auf Nachschub.«
»Und wann ist damit zu rechnen?«
Das Mädchen runzelte die Stirn. »Donnerstag. Vielleicht auch Freitag.«
»Sehr gut. Dann nehme ich inzwischen den griechischen. Und den Sauerrahm.«
Sie lächelte strahlend und stellte ein paar
Weitere Kostenlose Bücher