Kleine Suenden zum Dessert
hatte. Sie stammten von einer früheren Demonstration, die offenbar mit mehr Geldmitteln finanziert worden war als die jetzt geplante.
Aber, dachte sie schuldbewusst, Äußerlichkeiten waren nicht alles.
Es klopfte. Sie stemmte sich an der Schuppentür hoch und zischte: »Wer ist da?«
»Mammy?«
Julia unterdrückte einen Seufzer und machte auf. Michael trat ein und blinzelte ein paarmal wie eine Eule, während seine Augen sich auf das Dämmerlicht einstellten.
»Ich hatte dich heute nicht erwartet«, sagte sie.
Ihr Sohn war im Straßenanzug, kam also offenbar aus dem Büro. »Ich dachte, ich schaue auf dem Heimweg vorbei und wie sich zeigt, war das eine gute Idee! Mammy - ich muss darauf bestehen, dass du augenblicklich mit mir ins Haus hinübergehst!«
Dass er sie wie ein ungezogenes Kind behandelte, erboste sie. »Geh schon mal vor. Ich komme nach, wenn wir hier fertig sind.«
»Wo steckt Grace?«, wollte Michael wissen. »Im Haus ist sie offenbar nicht.«
»Ich habe keine Ahnung, wo sie ist. Du stehst auf unserem Transparent, Michael!«
»Sie schießt dich in den Fuß, und dann kümmert sie sich nicht einmal ordentlich um dich!«
»Grace kümmert sich ausgezeichnet um mich, aber ab und zu hat sie Anspruch auf ein wenig Freizeit.«
Matt gesetzt appellierte er an Martine: »Meine Mutter ist dreiundsiebzig! Sie ist verletzt! Sie sollten sie nicht für Ihre Zwecke einspannen!«
Martine musterte ihn abschätzig von oben bis unten. »Sie macht freiwillig mit. Könnten Sie jetzt bitte gehen? Sie stehen im Weg.«
Michael zitterte regelrecht vor Empörung. »Ich gehe nur, wenn meine Mutter mitgeht!«
»Michael...«
»Nein, Mammy! Genug ist genug. Ich habe lange genug geschwiegen und dir deinen Willen gelassen. Ich habe geduldet, dass du diese Leute in deinem Haus aufnahmst, mit ihnen Transparente maltest und dich aufführtest wie ein Hippie. Aber jetzt reicht es. Da draußen steht ein Streifenwagen, um Himmels willen!«
»Das wissen wir«, antwortete Julia seelenruhig.
»Es ist an der Zeit, deine Mitarbeit an dieser lächerlichen... Kampagne einzustellen - wenn man diese Aktion überhaupt so bezeichnen kann.«
»Was soll das heißen?«, fuhr Martine ihn zähnefletschend an.
Michael, der nicht an offene Aggressivität gewöhnt war, wich einen Schritt zurück und wandte sich wieder an Julia: »Ich weiß nicht, warum du ständig ›wir‹ sagst. Du gehörst doch nicht zu diesen Verrückten!«
»O doch, das tue ich!«, widersprach sie stolz und wurde von Martine mit einem Solidaritätsnicken belohnt. Michael schnaubte ungläubig. »Du wusstest doch nicht einmal, was MOX bedeutet, bevor diese Horde bei dir einfiel.«
»Das mag sein - aber jetzt weiß ich es«, gab Julia scheinbar souverän zurück, aber insgeheim hoffte sie inständig, dass ihr Sohn nicht weiter versuchen würde, sie in Martines Gegenwart in Verlegenheit zu bringen. Doch Martine war mit ihren Gedanken offenbar woanders. Sie schaute auf ihre Uhr und sagte dann: »Mann, schon so spät! Kein Wunder, dass ich am Verhungern bin. Ich werde Grace suchen gehen, damit was zu essen auf den Tisch kommt.«
»O ja«, geiferte Michael. »Es geht doch nichts über ein kostenloses Abendessen. Oder Mittagessen. Oder Frühstück.«
Martine trat drohend einen Schritt auf ihn zu. Diesmal ließ er sich nicht einschüchtern. »Ich durchschaue eure Taktik. Ihr lasst sie ein bisschen bei euch mitspielen, damit ihr nichts für Kost und Logis berappen müsst.«
»Michael!« Julias Ton war scharf wie ein Messer. »Es reicht!«
Mit einem hasserfüllten Blick drängte Martine sich an ihm vorbei und verschwand.
»Ich muss dich wohl daran erinnern, dass dieses Haus mir gehört, Michael«, sagte Julia. »Und du wirst meinen Gästen mit Respekt begegnen.«
»Gästen!«
»Ja, Michael.«
»Du machst dich zum Narren, Mammy!«
Julia nahm Martines Pinsel in die Hand und begann, an dem Schriftzug herumzutupfen. »Warum? Weil ich mich engagiere?«
»Wegen eines Atomtransportes aus China?«
»Japan. Nicht mal das weißt du.«
»Bis vor kurzem wusstest du es auch nicht.«
»Na und?«, begehrte sie auf. »Warum fällt es dir eigentlich so schwer zu glauben, dass ich hierbei mitmache, weil ich es so will?«
»Weil du und Daddy euch nie um Umweltthemen scherten! Weißt du noch, wie er damals mit dem Bulldozer das denkmalgeschützte Gebäude niederwalzte? Und du hattest einen Nerzmantel. Ich kann mich nicht erinnern, dass du dich wegen der fünfzig Nerze gegrämt
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