Kleiner Kummer Großer Kummer
Angebot ohne Kommentar auf den Fußboden werfen konnte. Ihr Magen verhärtete sich gegen solche Anfechtungen, und sie wurde zusehends eine richtige Arztfrau, die pathologische Greuel als eine notwendige Zugabe zum Frühstück, Lunch und Dinner hinnahm.
Heute vormittag fand ich ein bildhaft nagendes Magengeschwür für Sylvia, steckte den Rest der Anzeigen zurück in ihre großen Umschläge und öffnete meinen ersten Brief mit Ortsgebühr, der von Faraday kam. Er schrieb mir auf Krankenhaus-Briefpapier über einen Patienten, den ich ihm zur Untersuchung geschickt hatte. Er dankte mir formell für die Überweisung des Patienten, zählte die Untersuchungsergebnisse auf und schloß »... seine Leber und seine Milz waren nicht fühlbar, und Heß-Test war negativ. Ich muß Dir deshalb wegen Deiner Diagnose gratulieren und stimme mit Dir vollkommen überein.«
Nachdem er den Brief in seiner geschäftlichen Eigenschaft unterzeichnet hatte, fügte er noch ein P. S. hinzu: »Ich bin froh, daß Deine Heirat Dein Fingerspitzengefühl bei der Diagnose nicht beeinflußt hat. Vielen Dank für den reizenden Abend mit Dir und Sylvia und für das gute Essen. Ich fühle mich seitdem sehr einsam und eifersüchtig. Frag Sylvia, ob sie eine Frau für mich weiß, möglichst achtzehn, unschuldig, nicht über 1,70 groß. Haarfarbe überlasse ich Dir. P. P. S. Es war Eiweiß in seinem Urin!«
Ich hätte gern gewußt, ob das Krankenhaus eine volle Kopie dieses Briefes hatte, und reichte ihn Sylvia hinüber, damit sie mit ihren Überlegungen beginnen konnte.
Dann kam noch eine Nachricht von der Ärztekammer, die mich davon unterrichtete, daß für die Zeit, die ich angegeben hatte, wenig Stellvertreter zur Verfügung waren, wogegen eine große Nachfrage bestand, daß sie aber an einen Doktor O’Brien geschrieben hätten, der sich bei ihnen beworben hatte, und er würde sich innerhalb einer Woche mit mir in Verbindung setzen.
Einige weitere Briefe waren von verschiedenen Krankenhäusern mit Berichten über meine Patienten, und der letzte war an mich persönlich gerichtet. Es war ein hellblauer Umschlag mit einer ausgeschriebenen, schrägen Handschrift. Sylvia sah neugierig herüber.
»Von wem ist der?«
»Ich weiß nicht. Ich habe ihn noch nicht geöffnet.«
Sie nahm ihn mir aus der Hand, und nachdem sie ihn untersucht hatte, sagte sie: »Er ist von einer Frau, und er riecht nach Parfüm. Billigem Parfüm. Deine Vergangenheit meldet sich. Darf ich ihn öffnen, Liebster?«
»Wenn du willst.«
Ich trank meinen Kaffee, während Sylvias Augen immer größer wurden. »Liebster!« voller Erstaunen. Dann »Liebster, wirklich!« Endlich: »Nun, wer ist Renée Trotter?«
»Keine Ahnung.«
»Wirklich nicht? Sie schreibt, sie sei >Immer die DeineGott segne Dich< und >Schlaf wohl Ich streckte meine Hand nach dem Brief aus.
»Mein liebstes Braunauge«, las ich und blickte noch einmal auf den Umschlag, um sicher zu sein, daß er wirklich an mich gerichtet war, »oder sollte ich Doktor sagen? Du wirst sicher eine überlegene Miene aufsetzen und >Armes Mädchen< sagen, oder >Frauen<, aber wie immer Du mich auch nennen magst, es macht mir nichts aus. Es stimmt ja auch. Aber wie geht es Dir? Ich mache mir Deinetwegen große Sorge, Liebling. Du arbeitest zu hart, mein Edler.
Daß ich meinen Mediziner täglich hier Vorbeigehen sehe, gibt mir einen moralischen Halt, wenn Du weißt, was ich damit meine. Wenn ich aus meinem Schlummer erwache, mache ich mir Sorgen, ob man über uns Bescheid weiß. Schreib nicht an diese Adresse. Du wirst verstehen, warum. Das ist alles für heute. Ich liebe Dich, mein Liebster, Gott segne Dich, schlaf wohl.
Immer die Deine RenéeTrotter
P. S. Wie geht es Deiner Frau?«
»Das Mädchen ist verrückt«, sagte ich.
Sylvia lachte. »Ich glaube Dir, Liebster. Wie lange geht das schon?«
»Das kann ich nicht sagen. Ich glaube, ich habe sie erst einmal in der Sprechstunde gesehen. Ich kann mich nicht einmal erinnern, wie sie aussieht.
»Was willst du nun damit anfangen?«
»Nichts.«
»Kommt so etwas häufiger vor?«
Ich stand auf und küßte sie. Es war Zeit, mit der Sprechstunde zu beginnen. »Gelegentlich«, sagte ich. »Damit muß man sich abfinden, wenn man einen >edlen Mediziner< heiratet. Ich muß jetzt gehen.«
»Cheerio, liebstes Braunauge«, verabschiedete mich Sylvia und holte den Papierkorb hinter dem Vorhang hervor, damit sie das
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