Kleiner Kummer Großer Kummer
alles, was dir an der Tür hereingereicht wird, ins Sprechzimmer bringst. Vor allem zur Weihnachtszeit.«
Als der Kuchen sicher im Ofen war, richtete sich Sylvia auf, rot von der Hitze.
»Oh, Liebster!« sagte sie. »Bin ich nicht ein Idiot.«
»Es ist ja noch nichts passiert. Wie konntest du das wissen? Sie sind immer zu verlegen, um zu sagen, was in dem Paket ist.«
Sylvia lachte. »Du hättest hören sollen, wie ich mich bedankt habe. Ich glaube, er sah mich ziemlich verdutzt an, als ich sagte: >Ich danke Ihnen wirklich sehr. Wie nett von Ihnen. Ich bin sicher, daß Herr Doktor Sie selbst anrufen und sich bei Ihnen bedanken wird.<«
»Mach dir nichts draus, Liebling. Du hast das Nasenbluten gestillt.
Ich bringe nur schnell diese Sondermarke ins Labor. Vielleicht kann ich sie noch vor dem Essen untersuchen lassen.«
Draußen vor dem Labor erkannte ich das hochmütige Gesicht des glänzenden schwarzen Allard.
Doktor Compton sprach mit meiner rothaarigen Lieblingslaborantin, als ich mit meiner Flasche hereinkam. Ich ignorierte ihn vollkommen und begrüßte sie mit meinem flehendsten Lächeln.
»Ob Doktor Benson wohl einige Augenblicke Zeit hat, dies für mich zu untersuchen, ob irgendwelche Eiterzellen darin sind?« erkundigte ich mich.
Sie lächelte zurück. »Es tut mir leid, Doktor. Doktor Benson ist gerade damit beschäftigt, eine Blutsenkung für Doktor Compton vorzunehmen, und danach hat er noch zwanzig Kulturen zu machen. Vor dem späten Nachmittag wird es nicht gehen, fürchte ich. Wenn Sie bitte das Formular ausfüllen wollen und es mir geben, dann wird er es so bald wie möglich ansehen.«
Während ich mein gelbes Formular ausfüllte, fühlte ich Archibald Compton hinter meinem Rücken hämisch grinsen und versuchen, meine rothaarige Freundin zu beeindrucken. Als ich mich umdrehte, ertappte ich sie dabei, wie sie ihn genauso strahlend anlächelte, wie sie es immer bei mir tat. Sie sank ungeheuer in meiner Achtung.
Als ich mein Formular fertig ausgefüllt hatte, war Doktor Comptons Blutsenkung fertig, und wir hatten keine andere Wahl, als zusammen den langen, engen, dunklen Gang entlangzugehen.
»Nettes Mädchen, diese Rothaarige«, schwatzte er. »Sie erzählte mir, daß sie aus Southport ist. Im nächsten Monat heiratet sie einen der Orthopäden. Sie sind schon seit zwei Jahren verlobt.«
Zu ärgerlich, ich wußte nicht, was ich sagen sollte. Er hatte in dem einen Monat seiner Praxis mehr herausgefunden, als ich in einem Jahr.
Als wir in das helle Tageslicht hinaustraten, schlossen sich meine Finger um die kleine Karte in meiner Tasche. Ich zog sie heraus und hielt sie ihm unter die Nase.
»Ich sehe, Reklame macht sich bezahlt«, sagte ich.
»Woher haben Sie das?«
»Von dem Mädchen, das Sie neulich besucht haben.«
Er lachte leicht. »Oh, sie ist eine Freundin meiner Haushälterin. Ich gab sie Ilse, als sie zur Anmeldung bei der Polizei ging, damit sie Namen und Adresse richtig angab. Sicher hat sie sie dann dem anderen Mädchen gegeben.« Er streckte seine Hand danach aus.
Ich steckte sie in meine Tasche zurück. »Ich möchte sie behalten, wenn Sie nichts dagegen haben. Man weiß nie, ob man nicht einmal einen Hautspezialisten braucht.«
Er zuckte die Schultern, aber er errötete doch, als er in seinen Wagen stieg. Ich fühlte, daß ich ihm seinen Erfolg bei der Rothaarigen im Labor mehr als zurückgezahlt hatte.
Während ich noch meinen Starter zog und mein Motor spuckte und mit einem traurigen Winseln wieder starb, summte er an mir mit einem Buum-buum-buum von acht Zylindern und einem herablassenden Winken seiner gelb behandschuhten Hand vorbei. Ich war mir nicht sicher, ob ich danach noch das letzte Wort gehabt hatte.
4
Auch an diesem Morgen, eine Woche später, war meine Post wie immer interessant und wie immer reichhaltig. Oft ärgerte ich Sylvia damit, daß ich mit den schrecklichen Drucksachen aus dem täglichen Haufen der Firmenprospekte ihren Teller dekorierte. Wenn sie sich an den Frühstückstisch setzte, empfing sie dann etwa die grellfarbige Zeichnung der Eingeweide, und große Buchstaben schrien sie an: »Verstopft?« Andere gleich schreckliche Drucksachen zeigten Bilder von hageren Männern (Magengeschwüre), vergrämten Frauen (Blutarmut), reizbaren Kindern (Würmer) und verdrießlichen Säuglingen (unzulängliche künstliche Nahrung). In jedem Fall blieb Sylvia unbeeindruckt, und sie war jetzt lange genug mit mir verheiratet, daß sie dieses morgendliche
Weitere Kostenlose Bücher