Kleiner Kummer Großer Kummer
den ersten und zweiten Stock.«
Sie setzte sich auf das Bett und goß meinen Tee ein. Während ich trank, ging sie im Zimmer herum, hob die schmutzigen Socken und Taschentücher auf, die ich überall liegengelassen hatte, und sammelte meine Golfbälle vom Tisch und vom Kaminsims zusammen. »Ich werde Ihnen einen Kasten dafür besorgen und die schmutzige Wäsche mitnehmen.«
Sie nahm Sylvias Foto auf:
»Verheiratet?«
»Ja.«
»Hübsch, nicht wahr? Ich war auch schon einmal fast verheiratet.«
»Und warum nicht ganz?«
»Weil ich mich noch rechtzeitig besonnen habe. Ich bin nicht gern angebunden, die Freiheit liegt mir mehr.«
»Wie alt sind Sie?«
»Achtzehn«, seufzte sie. »Ich liebe Männer. Und Babys.«
Ich fand, daß es an der Zeit war, daß die achtzehnjährige Iris mit ihrem roten Haar und ihrer aufreizenden Figur aus dem Zimmer kam.
»Ich muß jetzt wohl aufstehen«, erklärte ich.
»Ich werde Ihnen Ihr Bad einlassen. Um neun Uhr haben Sie die >krankhafte Veränderung des Knochenbaus<, Professor Popper. Heute abend wird es schönes Golfwetter geben. Das ist immer so, wenn es morgens neblig ist. Schön heiß?«
»Wieso?«
»Das Bad. Haben Sie keine Sorge, ich schrubbe es erst mit Vim.«
»Ja, schön heiß.«
Nachdem sie gegangen war, wobei sie sich in den Hüften wiegte, daß ihr weißer Kittel knisterte, kam mir das Zimmer besonders still vor. Aber irgendwie empfand ich, schien es nicht mehr so düster zu sein.
Meine eigene Mutter hätte mich nicht besser umsorgen können. Iris wusch für mich, bürstete meine Anzüge, nähte einen Knopf an mein Hemd, fand eine hellere Birne für die trübe, mit Fransen besetzte Lampe, erinnerte mich an meinen Stundenplan und gab mir Tips, wo ich am besten essen könne. Ich begann, mich in meinem Hotelzimmer heimisch zu fühlen.
Sylvias Briefe waren wundervoll und trafen jeden Tag ein. Auf Papier geschrieben zu lesen, wie sehr sie mich liebe, war beinahe eine Trennung wert. Sie berichtete Einzelheiten aus der Praxis und beschrieb die Vorzüge Doktor Cataracts, der mit allen gut auszukommen schien. Sie schrieb wie eine rechte Arztfrau: »Wir hatten zwei Leichenschauen an einem Tag, und bei Billy Jones war es wirklich Drüsenfieber. Mrs. Christopher hat ihr Baby zwei Wochen zu früh bekommen, ein Mädchen! Ist das nicht eine Gemeinheit, wo sie sich so sehr einen kleinen Jungen gewünscht hat! Doktor Cataract ist schrecklich gewissenhaft und trabt gleich los, wenn ein Anruf kommt. Er ist sehr gefällig und ordentlich und wirft die leeren Ampullen immer gleich in den Abfallkasten. Bitte merken!
Molly macht die Küche, und es ist wie in alten Zeiten in unserer Wohnung - mehr Büchsenöffner als sonst etwas. Sie setzt uns eine exotische Kost von Schnecken, Algen und Artischockenböden vor und, natürlich, Mollys berühmte Spaghetti mit der Soße, die alle Kräuter der Welt enthält. Um ganz ehrlich zu sein, Süßer, ich bin dieses aufs Geratewohl hingehauene Essen gar nicht mehr gewohnt und freue mich darauf, daß ich Dir wieder ein anständiges Steak oder Schnitzel machen kann, wenn Du heimkommst.
Molly findet, es sei wundervoll, eine Arztfrau zu sein, weil es nie einen langweiligen Augenblick gibt. Du würdest lachen, wenn Du ihre Antworten am Telefon hören könntest. Die Patienten müssen annehmen, daß wir unsere Angestellten jeden Tag wechseln, weil sie nie zweimal den gleichen Dialekt gebraucht. Sie bekommen die ganze Skala zu hören, von Eliza Dolittle (erster Akt) bis Lady Bracknell. Manchmal wird sie ganz verrückt und brummt im tiefsten Baß: >Oh! meine Liebe, wie außerordentlich schrecklich< wenn irgendeine arme Mutter anruft, weil ihr Baby Durchfall hat.
Ich warte auf einen Brief von dem Mondgesicht, damit ich weiß, wann sie nun wirklich kommt...«
Am Sonnabend, nachdem wir unsere erste Woche herum hatten, gab es einen freien Tag ohne Vorlesung. Musgrove und ich beschlossen, auf Einkaufstour zu gehen, um Geschenke als Mitbringsel für unsere Frauen zu finden. Das war eine Arbeit, der keiner von uns Geschmack abgewinnen konnte, da wir das Einkäufen nicht gewohnt waren und keine Idee hatten, was wir eigentlich wollten. Wir machten uns nach dem Frühstück unlustig auf den Weg und trotteten mit hängenden Ohren die Prinzenstraße auf und ab, wobei wir erfolglos in jedes Schaufenster blickten. Um elf Uhr dreißig gähnte Musgrove und schlug einen Kaffee vor. Dann saßen wir kläglich in einem Café und wurden uns darüber klar, daß wir doch noch
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