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Kleiner Kummer Großer Kummer

Kleiner Kummer Großer Kummer

Titel: Kleiner Kummer Großer Kummer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Tibber
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hier gehören Sie nicht, da ist’s nicht schwer.« Er schnalzte einem vorbeigehenden Kellner mit den Fingern. »Zwei Brandy, Jock.« Dann zwinkerte er mir zu. »Ich meine, wir sollten anschließend in die Bar gehen, kann Sie da ein oder zwei anderen vorstellen. Wie sagten Sie doch, war Ihr Name?«
    »Ich habe gar nichts gesagt«, gab ich zu verstehen, »und obwohl es außerordentlich freundlich von Ihnen ist, möchte ich ausgerechnet jetzt wirklich keinen Brandy haben.«
    Er hielt eine feiste Hand hoch. »Ist mir wirklich ’n Vergnügen, ’nen Drink für Sie auszugeben, Doktor. Ich bewundere Ihren Beruf außerordentlich und hab’ das Pech gehabt, mich dauernd mit
    Ihren Kollegen abgeben zu müssen.« Er rückte seinen Stuhl ein wenig näher und lehnte sich verschwörerisch zu mir herüber, »’s ist meine Leber«, fuhr er fort, »obwohl sie mir, wenn ich ehrlich sein soll, nicht mehr so zu schaffen macht wie fünfundfünfzig. Nein, ich glaub’, es war vierundfünfzig... Ja, ja, es war vierundfünfzig, ’s war in Glasgow, und der Facharzt da...«
    Ich blickte mich nach einem Fluchtvorwand um, aber ich kannte nicht eine Seele, und alle saßen schweigend und bewegungslos wie ausgestopfte Puppen da, im einschläfernden Bann des braunen Plüschs und der eintönigen Topfpflanzen.
    Der Brandy kam und ging. Ich revanchierte mich. Nach dreiviertel Stunden hatte mein Freund mir eine erschöpfende Abhandlung über seine Leber, seinen erhöhten Blutdruck und seine Gallenblase gegeben, und wir waren jetzt bei seinen Witzen angelangt.
    Sein Gesicht war gerötet, und seine kleinen Augen leuchteten bei diesem Thema. »Kennen Sie den von dem jungverheirateten Paar und dem kleinen Hund? Also, es war in den Flitterwochen...« Ein junger Mann mit einer Brille auf der Nasenspitze stolperte an unserem Tisch vorbei. Ich war am Ende.
    »Hey, Blanchard!« rief ich und erwischte ihn an einem Zipfel seiner Sportjacke. Er sah sich erstaunt um, aber bevor er seine Pfeife aus dem Mund genommen hatte, um zu protestieren, hatte ich mich schon bei meinem Tischnachbarn entschuldigt, daß ich ihn mitten in seinem Witz unterbrechen mußte, und ihm für seine Gesellschaft gedankt. »Ich habe ’was mit dem alten Blanchard zu besprechen«, erklärte ich ihm, »wir haben zusammen studiert.« Ich legte meinen Arm kameradschaftlich um »Blanchards« Schultern und zog ihn aus der Halle hinaus.
    Als sich »Blanchard« von dem Schock des Überfalls erst einmal erholt hatte, war er voller Verständnis. Er hieß Musgrove, war Assistent in einer Praxis in Dulwich und - das wichtigste von allem - hatte seine Golfgarnitur mitgebracht. Ich wagte mich für den Rest meines Aufenthalts nicht mehr in die Nähe des Mausoleums von Hotelhalle und verbrachte den größten Teil meiner Zeit mit Musgrove, mit dem ich, wie sich herausstellte, sehr viel Gemeinsames hatte. Er war auch noch nicht lange verheiratet, und wir hatten eine Menge Gesprächsstoff.
    Ich war erst drei Tage in Edinburgh, als ich die Bekanntschaft von Iris machte.
    Mein Zimmer lag im obersten Flur des Hotels am Ende eines langen, langen Korridors. Wie der Rest des Hotels war er groß, kalt und düster. Das Bett war aus Metall, der Teppich fadenscheinig und die Vorhänge aus grünem Samt. Ein grauhaariges Zimmermädchen mit Schnurrbarthaaren brachte mir jeden Morgen den Tee. Ich sah sie jeden Tag für etwa zwei Minuten, wenn sie das Teetablett hinknallte, nachdem sie eine ganze Weile mit ihren Schlüsseln an der Tür geklappert hatte, »Guten Morgen« murmelte und die Vorhänge zurückzog, wobei kleine Staubwolken in den Raum entschwebten. Am vierten Morgen öffnete ich nicht einmal mehr die Augen, um diese Erscheinung zu begrüßen, und war erstaunt, als das Tablett sanft auf meinem Nachtschrank hingesetzt wurde und eine fröhliche Stimme rief:
    »Guten Morgen, Doktor! Ein wunderschöner Morgen ist es. Es ist ein bißchen spät, da müssen Sie schon aufwachen, oder Sie werden zu spät zur Vorlesung kommen.«
    Ich öffnete meine Augen und war fast geblendet von einem Schopf leuchtend roter Haare, der sich dicht vor meinem Gesicht befand. Zarte Hände schoben mir das Kopfkissen wieder unter, das auf den Boden gefallen war.
    »Ich bin Iris«, sagte sie und kicherte. »Ich hätte Sie schon immer versorgen müssen, aber ich hatte einen schlimmen Finger, deshalb hat mich die alte Ma Mackenzie vertreten. Ich weiß wirklich nicht, warum man Sie hier oben heraufgelegt hat. Gewöhnlich legen sie die Doktoren in

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