Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kleiner Kummer Großer Kummer

Kleiner Kummer Großer Kummer

Titel: Kleiner Kummer Großer Kummer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Tibber
Vom Netzwerk:
mir, daß Sie die Leibschmerzen zuerst erledigen würden, deshalb habe ich es versucht.«
    »Was ist denn los?«
    »Mr. Johnson, Buckhurst 55, kam eben mit seinem Lastwagen vorbei« - sie schnappte nach Luft —, »er sagte, daß Mr. Melrose heute morgen nicht zur Arbeit gegangen sei und die Kinder nicht zur Schule. Er klopfte an die Nachbartür, um zu sehen, was los sei, bekam aber keine Antwort. Er konnte die Tür nicht öffnen, alle Fenster waren fest verschlossen, und ein Geruch von Gas kam aus dem Briefkastenschlitz. Ich glaube, Sie sollten sich beeilen.«
    Ich brachte den Motor auf Touren. »Das werde ich tun. Vielen Dank, Iris«, rief ich ihr noch zu. Der Rest der Besuche würde warten müssen.
    Vor dem Haus Buckhurst 55 waren bereits ein Feuerwehr- und ein Polizeiwagen auf gefahren; die Eingangstür war von einer Gruppe Menschen - sicherlich Nachbarn - belagert, die die Köpfe zusammensteckten. Ein Feuerwehrmann mit einer Gasmaske schlug die Tür ein; die Nachbarn beobachteten ihn schweigend mit scharfen Augen in angespannten Gesichtern. Der Milchmann, der mit seinem Elektrokarren vorgefahren war, stieg - zwei Flaschen unter dem Arm - pfeifend aus.
    »Was ’n los?«
    »Weiß nich...«
    »Heut’ morgen nicht zur Arbeit...«
    »Kinder nicht zur Schule...«
    »Riecht nach Gas...«
    Der Milchmann - jetzt im Bilde - stellte sich, die Flaschen immer noch unter dem Arm, zu den Wartenden. Als die Tür offen war, schob sich die kleine Gruppe geräuschvoll vorwärts, um einen Blick in den dunklen Flur werfen zu können. Der Polizeioffizier streckte seinen amtlichen Arm aus und bat sie, zurückzugehen.
    Ich stand auf der schmutzigen roten Treppe und wartete, bis der maskierte Feuerwehrmann, der hineingegangen war, das Freizeichen geben würde.
    Ich konnte mir nicht helfen, ich war wirklich in Sorge. Mr. Melrose hatte seine Frau vor einem Jahr verloren. Sie war an multipler Sklerose gestorben, einer unaufhaltbaren Krankheit, nachdem ihr Mann sie mit Hilfe der Nachbarn während ihrer letzten bettlägerigen Monate gepflegt hatte.
    Seit ihrem Tode hatte Melrose, ein kleiner vergrämter Mann, Anfang Vierzig, das Haus allein geführt und die achtjährigen Zwillinge versorgt. Vor wenigen Wochen war er in meiner Sprechstunde gewesen, da er unter Kopfschmerzen litt, und hatte mir erzählt, daß er fürchte, seinen Posten zu verlieren. Er war Zimmermann in einer Fabrik, wo das Gerücht umlief, daß einige der Arbeiter vielleicht während der Sommermonate entlassen würden. Gehorsam stand ich auf der Treppe und wartete auf den Ruf des Feuerwehrmannes, mit der Hoffnung, daß die Verantwortung den ruhigen, überlasteten kleinen Mann nicht zum Schlimmsten getrieben hatte.
    »O. K., Dok!« schrie eine Stimme von oben. »Binden Sie Ihr Taschentuch vors Gesicht.«
    Ich tat, was man mir sagte, und folgte dem Polizeioffizier die Holztreppe hinauf.
    Im Vorderzimmer lag Mr. Melrose voll angekleidet auf dem großen Doppelbett, mit blauem Gesicht und schmächtiger wirkend als je zuvor. An jeder Seite von ihm lag im Schlafanzug unter einer grauen Decke scheinbar schlafend eine Zwillingstochter. Der jetzt unschuldig ruhige Gasofen war, wie uns der Feuerwehrmann erzählte, voll aufgedreht gewesen. Zusammen hoben wir Mr. Melrose auf den Boden und zogen die Decken zurück, um nach den Mädchen zu sehen. Mr. Melrose lebte, wenn auch gerade eben; ich zweifelte, ob es möglich sein würde, ihn zu retten. Ein kleines Mädchen atmete noch schwach, aber ihre Schwester war offensichtlich tot.
    Ich begann mit Wiederbelebungsversuchen bei Mr. Melrose und wies den Polizeioffizier und den Feuerwehrmann an, bei dem kleinen Mädchen dasselbe zu tun, während wir auf den Krankenwagen warteten.
    Bis der Wagen kam, war es klar, daß für das kleine tote Mädchen nichts mehr getan werden konnte, und auch das andere kleine Mädchen würde es kaum überleben. Mr. Melrose jedoch, an dem ich arbeitete, schien ein wenig besser zu atmen, und ich glaubte, daß er eine kleine Chance haben würde. Die Krankenpfleger wollten auf dem Weg zum Krankenhaus die rhythmischen Wiederbelebungsbewegungen bei Mr. Melrose und dem einen Mädchen fortsetzen.
    Wir trugen sie an den sich zusammendrängenden Frauen vorbei auf die Straße und in den Krankenwagen, der mit seiner aufregenden Sirene weitere Frauen auf ihre Türschwellen und andere an die Fenster gerufen hatte. Sie blickten dem abfahrenden Wagen nach, kaum war er aber um die Ecke verschwunden, lösten sich ihre Zungen.
    »Kann

Weitere Kostenlose Bücher