Kleiner Kummer Großer Kummer
Untersuchung zu Mr. Humphrey Mallow geschickt und wartete nun darauf, daß es zwölf Uhr wurde, da sie dann zurückgekommen sein würde und ich erfahren könnte, was er ihr gesagt hatte.
Ich fuhr zwischen einer Asthma-Injektion und einem Keuchhusten-Baby heim und fand Sylvia im Schlafzimmer, wo sie einen kleinen Koffer packte.
»Oh! Liebster«, kam sie mir entgegen und legte die Arme um
mich, obwohl wir nicht mehr so dicht Zusammenkommen konnten wie früher, »ich muß für einige Untersuchungen in die Klinik gehen. Sie machen schon ein Bett für heute nachmittag fertig. Du sollst Humphrey anrufen, damit er dir sagt, was los ist.«
Vollkommen aus der Fassung gebracht, rief ich sofort bei Mr. Mallow an. Er erklärte mir, daß er Sylvia für einige Tage in die Klinik nehmen möchte, um sicher zu sein, daß der hohe Blutdruck und die Kopfschmerzen nicht etwa durch eine Nierenentzündung hervorgerufen seien. Natürlich würde er in jeder Beziehung für sie sorgen.
»Was ist es?« fragte Sylvia, als ich den Hörer hinlegte. »Geht alles in Ordnung?«
»Aber natürlich. Es ist für dich nur bequemer, die Untersuchungen vorzunehmen, während du im Bett liegst, als wenn du als Außenpatient auf den zugigen Korridoren warten müßtest.«
»Was ist mit dem Baby?«
»Was soll damit sein?«
»Ist damit irgend etwas nicht in Ordnung?«
»Keineswegs«, antwortete ich leichtherziger, als ich mich fühlte. »Nächstes Jahr um diese Zeit werden kleine Füßchen um uns herumtrappeln.«
Sylvia lächelte.
»Worüber lachst du?« fragte ich.
»Über dich. Mit sieben Monaten laufen sie noch nicht.«
»Aber unsers.«
In der Klinik war kein Privatzimmer frei, da aber Humphrey Mallow die Untersuchungen unverzüglich machen wollte, hatte Sylvia eingewilligt, für einige Tage in die allgemeine Abteilung zu gehen. Ich brachte sie an ihr Bett zwischen einer grauhaarigen Frau, die strickend in ihrem Bett saß, und einem bleichgesichtigen Mädchen, das mit traurigen dunklen Augen zu uns herüberblickte, und ging wieder hinaus, während sie ins Bett stieg.
Als die krausköpfige Lehrschwester mir meldete, daß sie fertig sei, ging ich zurück und fand sie im Bett sitzend, in ein braves, rosa und weiß gestreiftes Nachthemd gehüllt.
»Mach nicht so ein trauriges Gesicht«, bat sie und nahm meine Hand, als ich mich auf ihr Bett setzte. Die Frau nebenan strickte besonders eifrig, damit wir annehmen sollten, daß sie nicht lauschte.
»Mache ich doch gar nicht. Es ist nur, weil ich nicht gewohnt bin, dich in diesem Krankenhausnachthemd zu sehen.«
Sylvia lachte. Ich konnte keinen Witz darin finden.
»Du bist ein Herzchen«, sagte sie. »Es gehört nicht dem Krankenhaus. Ich habe es heute morgen auf dem Heimweg extra gekauft. In meinem Wäscheschatz befand sich nichts, was für ein allgemeines Krankenzimmer geeignet gewesen wäre. Du brauchst also meinetwegen .nicht traurig zu sein.«
Ich wollte gerade etwas sagen, als die strickende Frau, ohne den Rhythmus ihrer Nadeln zu unterbrechen, einfiel:
»Es wird ihr schon gutgehen, mein Lieber. Wir passen hier alle auf einander auf.«
Sie nickte mit ihrem Kopf zu der jungen Frau an Sylvias anderer Seite. »Sie ist heute morgen erst operiert und noch nicht wieder ganz da. Ich werde ihr später einen Tropfen von meinem Stärkungsmittel geben.«
Der Rest des Tages ging langsam dahin. Während ich meine Arbeit beendete, mußte ich immer wieder voller Sorge an Sylvia in der Klinik denken. Zum ersten Mal konnte ich mich in die Gefühle eines Patienten versetzen, bei dem ein Familienmitglied krank war, und dieser Zustand gefiel mir gar nicht.
Ich aß in dem ruhigen Haus allein am großen Eßzimmertisch. Weil Sylvia fort war, schien sogar Iris etwas von ihrer Keckheit verloren zu haben und ging niedergeschlagen mit ihren Schüsseln aus und ein. Während ich mein Dessert aß, das aus einer Dose stammte, die sie geöffnet hatte, klingelte es an der Haustür. Iris meldete, daß es ein Mr. Brindley sei, der mich dringend zu sprechen wünschte. In der Sorge um Sylvia fühlte ich mich nicht in der Stimmung für H. H. Brindleys Probleme, ließ ihn aber doch durch Iris in das Wohnzimmer führen. Ich erschrak bei seinem Anblick, und meine Gedanken an Sylvia rutschten vorübergehend in den Hintergrund.
Gekleidet war er wie immer, von seinen hochglänzenden, handgearbeiteten Schuhen bis zu dem sorgfältig gefalteten Seidentuch mit dem zierlich gestickten braunen H. H. in der Brusttasche. Aber in den
Weitere Kostenlose Bücher