Kleiner Kummer Großer Kummer
daß er entschlossen war, Tony zu finden. »Meine Hauptsorge ist Tessa.«
Er blickte mich um Zustimmung flehend an: »Es ist doch alles in Ordnung bei ihr, nicht wahr? Unsere kleine Tessa.«
»Ich sehe keinen Grund zur Beunruhigung.«
»Dann werden Sie kommen, wann immer sie Sie braucht?«
»Ja«, versprach ich, »machen Sie sich keine Sorge.«
»Ein Kummer weniger. Tessa wird sich freuen.«
An der Tür drehte er sich noch einmal um: »Entschuldigen Sie, daß ich Ihnen Ihre kostbare Zeit geraubt habe.«
»Ich freue mich, Ihnen helfen zu können«, versicherte ich.
Er steckte seine Hände in die Taschen und trat auf den Gartenweg.
»Das hat mir ziemlich den Wind aus den Segeln genommen.«
Er tat mir leid, als ich ihm nachsah.
14
Ohne Sylvia kam mir das Haus schrecklich vor, und ich konnte mir nicht mehr vorstellen, wie ich ein ganzes Jahr lang, während ich auf ihr »Ja« wartete, allein fertig geworden war. Im Bett fror ich, ich hatte niemanden, mit dem ich reden konnte, und ich bemerkte, daß Iris die Milch in der Flasche auf den Tisch stellte und in ihren Pantoffeln im Haus herumwanderte. Doch es war mehr als ausgerechnet das. Am zweiten Tag legte ich mir eine Wärmflasche ins Bett, sagte Iris, daß sie schlampig aussähe, und holte mir Loveday zur Gesellschaft, aber es wurde nicht besser. Es war offensichtlich, ich vermißte nichts weiter als meine sogenannte »bessere Hälfte«. Und keine noch so gut berechnete Anhäufung meiner Lieblingsspeisen, wofür sie gesorgt hatte, konnte mir ihre leibliche Gegenwart ersetzen. Ich diskutierte mit Loveday über die Eigenarten der Ehe.
»Es ist seltsam«, sagte ich, »daß eine bestimmte Frau, ganz ohne bestimmten Grund, die richtige ist.«
Loveday, der immer loyal war, fand es keineswegs seltsam.
»Es ist nur eine Frage der Erbeinheiten«, begann er, indem er das glühende Ende seiner Zigarre betrachtete, »oder des Instinkts, wenn Ihnen das besser gefällt. Die Heirat ist selten ein vernunftgemäßer Vorgang. Ein Mann glaubt, er liebe eine Frau wegen ihrer Haare, ihrer glänzenden Augen und der Übereinstimmung ihrer Ansichten; eine Frau meint, sie liebe einen Mann wegen seiner Sicherheit, seiner Hilflosigkeit oder seines jungenhaften Benehmens; aber was wirklich geschah, ist, daß in irgendeiner geheimnisvollen Weise außerhalb unseres Gesichtskreises die 3000 Erbeinheiten, die sein Abbild ergeben, mit ihren 3200 in einer äußerst bewegten, geheimen Sitzung beschlossen haben, daß sich mit ein wenig Glück etwas produzieren ließe, das das Geschlecht weiterführen könnte, wenn jeder von ihnen 1500 von seinem Bestand abgeben würde.«
»Da wird also >Liebe< durch die gegenseitige Anziehung der Erbeinheiten ersetzt?«
Loveday nickte.
»Das stimmt. Wie könnten Sie sonst andererseits erklären, daß Hunderte der ansehnlichsten Männer die am komischsten aussehenden Frauen wählen oder daß die am besten aussehenden Frauen an häßlichen, dicken, runden Männern hängenbleiben?« Er beugte sich in seinem Stuhl vor. »Wenn ich Ihnen jetzt eine äußerlich ganz gleich aussehende Kopie von Sylvia besorgen könnte, aber mit einem ganz anderen Satz von Erbeigenheiten, glauben Sie, daß sie annehmbar wäre?«
»Gewiß nicht.«
»Da haben Sie’s«, sagte er und hielt mir sein Glas entgegen. »Wie wäre es mit noch einem Apricot Brandy?« Ich goß ihm seinen Brandy ein und dachte über das, was er gesagt hatte, nach. Sicherlich hatte er mit seiner Theorie über die Erbeinheiten recht, aber ich war zu frisch verheiratet, als daß ich mich damit abgefunden hätte, unsere Ehe auf solch logische Gründe zurückzuführen. Das brachte mir eine Party in Erinnerung, die eine von Sylvias Mannequin-Freundinnen gegeben hatte, kurz bevor wir heirateten. Die Freundin hatte uns an der Tür empfangen und uns auseinandergesetzt, daß sie eine überaus fröhliche Gesellschaft wünsche und wir uns deshalb für diesen Abend trennen müßten. Sylvia und ich, bereit, im gewünschten Sinne mitzumachen, hatten uns zum Abschied geküßt und erklärt, daß dies jetzt unsere letzte Chance sei, jemanden zu finden, der uns besser gefiele. Es war eine große Party mit allem Drum und Dran. Ich tanzte mit einigen der schönsten Mädchen von London, die mehr als bereit waren, ihre Arme um mich zu legen und mich in eine Ecke zu ziehen; ich hatte eine längere Sitzung an der Bar, um zu ergründen, ob vielleicht meine Nüchternheit an meiner Abneigung, mich in Ecken ziehen zu lassen,
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