Kleiner Kummer Großer Kummer
schuld sei; und ich beendete den Abend auf der Erde sitzend und mit einer großäugigen Brünetten, die ebenso schön wie intelligent war, über Existentialismus diskutierend. Ich lachte, trank, aß Würstchen am Spieß und tanzte Cha-cha-cha, indem ich mich bemühte, nicht zu oft zu beobachten, was Sylvia tat. Ich bemühte mich redlich, mir einzubilden, daß ich vogelfrei wäre und einen herrlichen Abend vor mir hätte, aber die einzigen Höhepunkte der Party waren, wenn ich mir einen schnellen Blick in Sylvias Richtung gestattete und immer wieder feststellte, daß ihre Augen die meinen suchten. Als das Fest vorüber war, bedankten wir uns höflich und mit soviel Begeisterung, wie wir aufbringen konnten, bei der Gastgeberin und flohen in die Dunkelheit des frühen Morgens. Auf der Heimfahrt saßen wir schweigend dicht nebeneinander und waren beide erstaunt über die Entdeckung, wie verloren wir uns ohne einander vorkamen.
»Ja«, sagte ich zu Loveday, »Sie können auf Ihren Erbeinheiten bestehen, ich ziehe es vor, es Liebe zu nennen.«
»Wie Sie es nennen, ist vollkommen gleich, es kommt immer auf dasselbe heraus.«
»Und wenn Ehen in die Brüche gehen, die himmelhoch jauchzend mit Liebe begannen?«
»Die Anziehungskraft der Erbeinheiten ist nur der Beginn. Es ist das, was es Mrs. Jones im ersten Jahr der Ehe ertragen läßt, daß Mr. Jones die Gewohnheit hat, mit seinen Socken ins Bett zu gehen. Unter der mächtigen gegenseitigen Anziehungskraft, die sich zwischen ihnen auswirkt, bemerkt sie es vielleicht gar nicht.«
»Und nach dem ersten Jahr?«
»Dann beginnen sich die Dinge, die Sie mit Ihren Sternenaugen beim ersten Anblick Liebe nennen und ich als eine chemische Reaktion bezeichne, abzunutzen, und eins von beidem wird geschehen. Wenn Mrs. Jones ein wenig Vernunft hat, wird sie sich vergegenwärtigen, daß Mr. Jones, obwohl er mit seinen Socken ins Bett geht, was sie haßt, immer noch der gleiche Tom, Dick oder Harry ist, dem sie ihr Jawort gegeben hat, und daß er sich immer noch über ihre Gesellschaft freut, fröhlich arbeitet, um sie zu unterhalten, und ihr beim Aufwaschen hilft. Sie wird sich über die Socken hinwegsetzen, ihm freimütig erzählen, was für ein guter Kerl er ist, und plötzlich entdecken, daß er um so liebenswerter wird, je häufiger sie es ihm sagt - und sie, werden die besten Chancen haben, immer wirklich glücklich miteinander zu leben. Wenn Mrs. Jones keine Vernunft hat - wenn sie sich weigert, erwachsen zu werden, und das selbstsüchtige Mädchen bleibt, das sie war, wird sie die Augen gegenüber allen guten Punkten verschließen, ihn wegen seiner schrecklichen Angewohnheiten anmeckern und eines Tages plötzlich mit der Erkenntnis aufwachen, daß er ihr nicht mehr beim Aufwaschen hilft, sondern ins Wirtshaus trottet. Dann bleibt ein Paar zurück, aus dem unglücklicherweise die meisten Ehen zu bestehen scheinen: Mr. und Mrs. Jones, zwei Fremde, die nichts als den Namen miteinander teilen und unter dem gleichen Dach durch die verschiedenen Etappen der Gleichgültigkeit, vom Mitleid bis zur Böswilligkeit, dahinwursteln.«
»Werden Sie jetzt nicht ein wenig zynisch?« fragte ich. »Ich kann schließlich nicht einsehen, warum die Ehe zerbrechen muß, wenn Mr. Jones mit seinen Socken ins Bett geht.«
»Dann sind Sie eben nicht Mrs. Jones«, erklärte Loveday, »immerhin sind die Socken ja auch nur der springende Punkt. Wenn Sie glauben, daß sie auch nur im geringsten unwichtig sind, dann setzen Sie sich einmal einen Tag ins Scheidungsgericht. Wenn es nicht Mr. Jones’ Socken sind, dann ist es Mrs. Jones’ angeborener Wortreichtum, den ihr Ehemann einst so attraktiv fand, welcher den ersten Funken schlägt.« Sorgfältig streifte Loveday die lange Asche von seiner Zigarre am Aschenbecher ab.
»Nichts wächst ohne ein wenig Ermutigung«, fügte er ernst hinzu, »nicht einmal Liebe. Sie trocknet nur ein.«
Ich lächelte.
»Das ist nicht zum Lachen«, fuhr Loveday fort. »Die Ehe mag eine lustige Einrichtung sein, aber sie muß ernst genommen werden, wenn sie dauern soll.«
Ich wollte das Gespräch gerade fortsetzen, als das Telefon, das neben Lovedays Ellbogen stand, klingelte. Er nahm den Hörer auf.
»Nein, ich bin nicht der Doktor«, sagte er, und dann »Gott sei Dank« zu mir und reichte mir den Hörer herüber.
Es war die Hebamme unseres Bezirks, die mich vom Hause einer Patientin anrief, der ich versprochen hatte, bei der Entbindung zugegen zu sein.
Loveday folgte
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