Kleiner Kummer Großer Kummer
Kleidern steckte ein altgewordener Mann. Seine Stimme hatte den bombastischen Ton verloren. Er kam geradewegs zur Sache.
»Sie wissen, was mit Tessa los ist.« Es war keine Frage. Ich zog einen Stuhl für ihn heran und schaltete den Ofen ein.
»Ja«, sagte ich.
Es schien, als hätte es ihn noch schwerer getroffen, als ich erwartet hatte.
»Hat sie Ihnen den Namen des Vaters gesagt?«
»Ja«, sagte ich auch diesmal, ohne die Folgen zu bedenken.
»So, dann werden Sie ihn mir sagen. Aus Tessa ist nichts herauszubringen.«
»Ich kenne nur seinen Vornamen«, schränkte ich ein, da ich jetzt verstand, worauf er hinauswollte.
»Das genügt, es ist immerhin ein Anfang; ein Weg, ihn zu finden, und das wird für H. H. Brindley nicht lange dauern.«
»Überlegen Sie«, gab ich zu bedenken, »wozu soll das gut sein?«
»Ihm wird es nicht guttun.« Brindleys Augen waren scharf vor Zorn. »Ich werde ihm jeden Knochen im Körper brechen.«
»Es tut mir leid«, erklärte ich, »aber ich kann Ihnen den Namen nicht sagen, wenn Tessa es nicht wünscht.«
»Verdammter Kram«, schrie er, immer wütender werdend. »Tessa ist ein Kind, und sie weiß nicht, was sie tut.«
»Das mag sein«, entgegnete ich fest. »Aber was Tessa mir erzählt hat, war vertraulich, und ich bin durch die Tradition des Berufsgeheimnisses gebunden.«
»Berufsgeheimnis---! Ob Sie es mir sagen oder nicht, ich werde ihn finden. Es wird nur etwas länger dauern, wenn ich keinen Anhaltspunkt habe. Ich werde ihn finden, und wenn es das letzte wäre, was ich auf dieser Welt täte.«
»Es tut mir leid«, versicherte ich, »aber es kommt nicht in Frage, daß ich Ihnen diesen Namen sage. Wenn Tessa nicht will, daß Sie ihn erfahren, kann ich Ihnen leider nicht helfen.«
Etwas ruhiger fuhr er fort: »Tessa sagt, daß sie sich töten würde, wenn ich herauszubringen versuche, wer er ist. Glauben Sie, daß sie das ernst meint?«
»Das könnte sehr gut sein«, bestätigte ich ihm. »Sie ist in einem leicht erregbaren Gemütszustand. Sie hat Sorgen und Angst vor der Zukunft...«
Er hob seine Hand. »Glauben Sie, das wüßte ich nicht?« sagte er langsam. »Ich hätte alles, aber auch alles dafür gegeben, meine Tochter glücklich verheiratet zu sehen. Das ist es ja, weshalb ich so darauf bedacht bin, den Burschen zu finden, der ihr das angetan hat.«
»Aber wenn Sie Tessa dadurch nur noch unglücklicher machen?« fragte ich in der Absicht, ihn zu beruhigen.
»Tessa wird davon nichts erfahren«, sagte er abschließend. »Aber ich habe meine Meinung gefaßt: Ich habe nur diese eine Tochter, und ich werde diesen Burschen finden. Er ist ein verheirateter Mann, und er hätte es besser wissen müssen. Tessa natürlich auch, aber das spielt hier keine Rolle; sie muß am meisten darunter leiden. Und wenn H. H. Brindley Ihnen sagt, daß dieser junge Mann, ganz gleich wer er ist, nicht ungestraft davonkommen wird, dann meint er es auch.«
»Was wollen wir wegen Tessa unternehmen?« fragte ich im Bestreben, ihn zu beruhigen.
»Was Sie für richtig halten. Sie sind der Arzt, und sie möchte keinen anderen als Sie dazu haben.«
»Möchten Sie nicht lieber einen Geburtshelfer hinzuziehen?« fragte ich, da ich wußte, daß Leute wie die Brindleys gewöhnlich eine Spezialbetreuung wünschten.
»Tessa sagt, daß sie keinen anderen als Sie haben möchte. Sie entbinden doch auch, nicht wahr?«
»Ja, das schon. Ich könnte sie in einer Privatklinik unterbringen, oder sie könnte zu Hause bleiben. Unter den gegebenen Umständen...«
»Ich werde sie zu unserem Landhaus bringen«, überlegte Brindley, »es ist nur eine Stunde Wagenfahrt von hier. Ich möchte Sie auch meinetwegen bitten, nach ihr zu sehen.«
Ich zögerte. In seiner gewohnten Art, die ein Ergebnis seiner Lebensgeschichte war, mißverstand er mein Schweigen.
»Es ist mir gleich, was es kostet.«
»Das meine ich nicht, es ist nur die Fahrt. Falls sie schnell Hilfe brauchte...«
»Bitte, schlagen Sie es nicht ab«, sagte er sichtlich verärgert, daß er bitten mußte, statt zu befehlen. »Ich weiß, daß es Ihnen nicht gut paßt. Aber Tessa scheint all ihre Hoffnung auf Sie zu setzen. Sie sagt, Sie ständen auf ihrer Seite. Dicht dabei ist übrigens ein Säuglingsheim«, fuhr er hoffnungsvoll fort.
»Nun gut«, gab ich nach. »Und was soll geschehen, wenn das Baby da ist?«
H. H. Brindley stand auf. »Das werden wir sehen, wenn es so weit ist, wenn nicht vorher«, und aus dem Ton seiner Stimme war zu hören,
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