Kleiner Kummer Großer Kummer
mir in das Sprechzimmer und sah zu, wie ich meine Ausrüstung zusammenpackte: Gummihandschuhe, Zange...
»Tolle Sachen«, sagte Loveday.
»Ich werde es kaum brauchen. Sie ist eine stramme Frau, und dies ist das sechste, ich glaube - sechste oder siebente, ich vergesse immer zu zählen.«
»Großer Gott!« stöhnte Loveday. »Ich hätte nicht gedacht, daß so etwas heute noch vorkommt.«
»Sie ist eine Italienerin. Hat einen Engländer geheiratet, der dort bei der Armee war. Sie macht sich keine Sorgen darüber, ist ganz verrückt mit all den Kindern; aber Heimweh nach Italien hat sie doch. Die Nachbarn lassen sie ziemlich allein: unser übliches Benehmen Fremden gegenüber. Sie finden es ein wenig komisch, daß sie Jahr für Jahr ein Kind produziert, und machen einen weiten Bogen um sie herum. Machen Sie es sich inzwischen bequem, ich glaube nicht, daß es lange dauern wird; meist ist das Kind schon da, wenn ich ankomme. Die Wehen sind schon sehr heftig.«
»Etwas werde ich warten. Wenn es zu lange dauert, werden Sie sich eine neue Flasche Apricot Brandy kaufen müssen.«
Er brachte mich an die Haustür und schauerte in der Nachtluft zusammen.
»Gott sei Dank, daß ich mich für die Zahnheilkunde entschieden habe. Von neun bis fünf, fünf Tage in der Woche.«
»Bemitleiden Sie mich nicht«, rief ich ihm vom Wagen aus zu. »Mir gefällt es.«
Und ich meinte es ehrlich. Zu Hause, als ich mit Loveday vor dem Kamin saß, hatte ich mich schläfrig und träge gefühlt und mich nach nichts mehr als nach meinem Bett gesehnt. Jetzt war ich wach und heiter, weil ich Arbeit hatte und diese Arbeit liebte.
Die einzige Straßenlampe warf gespensterhafte Schatten in die winzige Sackgasse am Ratsplatz.
Die Tür von Nummer zwölf stand offen. Auf den Treppenstufen saßen in Unterwäsche und den verschiedensten Pullovern, aus denen ihre Nachtgewänder bestanden, vier von Graziella Smiths fünf oder sechs Kindern.
»Allo, Dok!« rief mir die Älteste zu, die schon zur Schule ging.
Ein kleineres sagte scheu: »Kuckuck!« und barg sein Gesicht im Schoß der Schwester.
Oben wühlte Graziella ihre bergartige Figur im Bett herum und stöhnte: »Mamma mia, Mamma mia, Mamma mia!«
»Ksch, ksch, Liebe!« beruhigte sie Schwester Mildmay vom Ende des Bettes her.
»Mamma mia, Mamma mia, Mamma mia!« Graziellas Augen hatten mich erblickt, sie war aber zu sehr beschäftigt, um etwas zu sagen.
Ich zog meine Jacke aus, rollte meine Ärmel hoch und ging ins Badezimmer, um meine Hände zu schrubben. Als ich zurückkam, hatte Graziella mit der Hilfe von Schwester Mildmay einem kräftigen Jungen das Leben gegeben.
»Zu spät!« lachte die Schwester sehr triumphierend.
»Protzen Sie nicht«, entgegnete ich, »Sie haben mir keine große Chance gegeben.«
»Ich bin auch gerade erst gekommen«, sagte sie, indem sie in ihrer erfahrenen Art arbeitete. »Sie hatte schon den ganzen Tag Wehen, hat aber nichts gesagt.« Während Schwester Mildmay mit dem Baby beschäftigt war, das nun sein häßliches kleines Gesicht verzog und schrie, wartete ich auf die Nachgeburt. Ich zweifelte daran, daß Loveday allzuweit mit dem Apricot Brandy kommen würde, bevor ich zurück war.
»Wo ist Mr. Smith?« fragte ich.
Schwester Mildmay sagte etwas, aber gerade in diesem Augenblick begann die Frau in der Nachbarwohnung nach ihrem Mann zu rufen, und eine Flut von Schimpfworten kam klar durch die dünne Trennwand. Als es wieder ruhig war, bis auf das leise Wimmern des Babys, hörte ich von der Schwester, daß ein Nachbar auf dem Weg sei, Graziellas Mann von seiner Nachtschichtarbeit zu holen.
Zwei Minuten später hatte Schwester Mildmay unter beruhigendem Summen das Baby in seinen Korb auf dem Boden gelegt.
»Sie scheint ziemlich heftig zu bluten«, sagte ich. »Könnten Sie den Blutdruck für mich nehmen, Schwester, wenn das Baby versorgt ist?«
Es hatte langsam den Anschein, als ob alles doch nicht so gerade voranging, wie ich angenommen hatte. Als die Blutung zunahm, untersuchte ich den Unterleib und fand, daß die Nachgeburt nicht vollkommen vom Uterus getrennt war.
»Ich werde versuchen, sie herauszuholen«, erklärte ich.
Schwester Mildmay schlang die Manschette des Blutdruckmessers um Graziellas Arm. Das Baby hörte zu schreien auf, und es war plötzlich ruhig.
»Der Blutdruck fällt«, flüsterte Schwester Mildmay, »und sie sieht erschreckend blaß aus.«
Ich richtete mich auf, da auch mein Versuch, die Plazenta zu entfernen, erfolglos gewesen
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