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Kleiner Kummer Großer Kummer

Kleiner Kummer Großer Kummer

Titel: Kleiner Kummer Großer Kummer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Tibber
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kam.
    »Warum ißt du es nicht auf, Süßer?« fragte sie, als ich Messer und Gabel hinlegte, da ich kaum etwas essen konnte.
    »Allzu müde.«
    »Ärmster! Soll ich dir etwas anderes holen?«
    »Nein, danke, Liebling«, gähnte ich. »Laß nur. In fünfundzwanzig Jahren habe ich vielleicht jemanden, der mir in der Praxis hilft.«
    »Wie meinst du das?«
    »Unser Einziges.«
    Sylvia kniff die Augen zusammen, da sie gerade einen Faden einfädelte.
    »Oh! nein!« entgegnete sie. »Ich würde es nicht gern sehen, daß unsere Tochter Ärztin wird. Das ist kein Leben für ein Mädchen.«
    »Tochter?«
    »Mm«, lächelte sie. »Blond, mit einem Pferdeschwanz.«
    Ich sagte nichts, nahm die Zeitung auf und legte meine Füße auf den Kaminsims.
    Sylvia ließ ihre Hände in den Schoß sinken und blickte mich an.
    »Jetzt ist es mir erst aufgegangen, was du damit sagen wolltest, daß dir jemand in der Praxis helfen kann. Rechnest du etwa wirklich mit einem Jungen?«
    »Ach nein«, erwiderte ich beiläufig und hielt mein Gesicht hinter der Zeitung verborgen. »Ich werde mit allem einverstanden sein, was wir kriegen. Schließlich ist es doch ganz gleich, nicht wahr?« Ich wußte, daß ich so denken sollte, aber ich tat es nicht. Ich wünschte mir verzweifelt und unvernünftig, daß unser einziges Kind ein Junge sein sollte. Es war ebenso dumm wie ungerecht gegenüber Sylvia, und es tat mir leid, daß ich ihr meine Gedanken verraten hatte.
    »Schau, Liebling«, versuchte ich es gutzumachen, »es ist mir wirklich ganz gleich, solange es dir und dem Baby gut geht. Kleine Mädchen sind süß und kleine Jungen auch.«
    »Ich möchte dich ganz glücklich machen, Süßer«, flüsterte Sylvia, »nachdem es nur eins sein darf.«
    »Das wirst du auch, ganz gleich, was es ist«, bestätigte ich noch einmal. »Wir benehmen uns ganz albern, schließlich ist es uns doch beiden ganz gleich, nicht wahr?«
    »Ja«, sagte Sylvia, »es ist uns vollkommen gleich.«
    Aber das stimmte nicht.
    Immer wenn ich mir die Zukunft mit einem Sohn an meiner Seite vorstellte, wußte ich, daß Sylvia sich nach einer Tochter sehnte, obgleich keiner von uns irgend etwas sagte. Wir drückten uns immer taktvoll um das Thema herum, sprachen nur von »dem Baby«, bis es zu solchen Problemen wie der Farbe für den Kinderzimmeranstrich kam.
    »Rosa!« entschied Sylvia. »Das zarteste Rosa. Dann können wir weiße Vorhänge mit rosa Rosenknospen darin nehmen.«
    Ich sah sie entsetzt an, der Gedanke, meinen Sohn von rosa Rosenknospen umgeben zu sehen, beleidigte mich.
    Gleichzeitig stellten wir fest, daß wir uns verraten hatten. Sylvia faßte sich zuerst.
    »Nein«, erklärte sie, »natürlich nicht. Rosa ist ja auch ziemlich ordinär. Hattest du irgend etwas Besonderes gedacht?«
    Ich hatte mir ein männliches Blau vorgestellt. »Nicht eigentlich. Wie wäre es mit Grün?«
    »Oder Gelb?« schlug Sylvia halb überzeugt vor.
    »Oder Grau?«
    Wir entschieden uns für strahlendes Weiß, auf das ich ausgeschnittene schwarze hoppelnde Häschen kleben sollte.
    In der Sprechstunde bat ich einige Patienten aus dem Malergewerbe, mir die benötigte Ausrüstung zu leihen, und bekam Leitern, Planken, ein Paar erstklassige Pinsel (die zärtlicherweise der Große Tom und der Kleine Tom genannt wurden), einen »Einzölligen«, um die Querbalken zu streichen, und eine Menge guter Ratschläge. Nachdem ich genau nach Vorschriften alles aufgebaut und mich in Arbeitskleidung geworfen hatte, kam ich mir vor, als hätte ich meinen Beruf verfehlt.
    Als alles fertig war, konnte ich, nicht ohne Grund, wie ich annahm, stolz auf mein Handwerk sein.
    »Überleg dir, wieviel Geld wir gespart haben«, machte ich Sylvia gegenüber geltend, als wir in der Tür standen und den sauberen, hellen Raum bewunderten.
    Sylvia schwieg und ging zu dem Stapel, den ich in der Mitte des Zimmers zusammengeworfen hatte. Schweigend hielt sie das Hemd, den Pullover, die Golfhose, Socken und Schuhe in die Höhe, die ich mit Farbe ruiniert hatte.
    »Ach«, log ich, »die wollte ich sowieso wegschmeißen.«
    In dieser Nacht hätte ich am liebsten zwischen den Hasen geschlafen, die ich so sorgfältig an die Wände geklebt hatte.
    Nach dem Abendessen waren wir noch einmal in das Kinderzimmer gegangen, um zu sehen, wie es bei Nacht aussah.
    Sylvia stand mit halbgeschlossenen Augen in der Mitte des Zimmers. »Hier werden wir die Wiege hinstellen«, zeigte sie, »den Stuhl zum Stillen hier und die Badewanne dort.«
    »Ich weiß

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