Kleines Lexikon der Reise-Irrtuemer
nach Nordkorea reisen kann, mag ungewöhnlich klingen, aber mindestens genauso erstaunlich finde ich die Feststellung, dass Menschen im Urlaub nach Nordkorea reisen wollen. Ja, tatsächlich, es gibt sie. Als Beweggrund nennen diese Menschen vor allem Neugier: Wie fühlt es sich an, das Dasein im völlig abgeschotteten, extrem repressiven, kommunistisch-reaktionären, verarmten, an Hunger leidenden Nordkorea? Was hat es mit der Chuch’e (sprich: Dschutsche) auf sich, der verschwurbelten Mischung aus Staatsideologie, -religion und Personenkult rund um den Staatsgründer Kim Il Sung, nach der Nordkorea sogar eine eigene Zeitrechnung hat (sie beginnt mit Kim Il Sungs Geburtsjahr 1912)? Um das herauszufinden, unternehmen manche Touristen eine Studienreise in der Gruppe (sie buchen zum Beispiel beim Veranstalter Studiosus), andere machen sich als Individualtouristen auf den Weg. Wobei »individuell« hier eigentlich das falsche Wort ist. Denn jeder Einzelreisende ist genauso wie jede Reisegruppe verpflichtet, sich von einem dreiköpfigen Team durch Stadt und Land führen zu lassen: einem Fahrer und zwei sogenannten Dolmetschern. Diese Nordkoreaner sprechen tatsächlich Deutsch: Die älteren haben es in der DDR gelernt, die jüngeren lernen es von den älteren. Doch ihre Hauptaufgabe ist, ihre Schützlinge auf Schritt und Tritt zu bewachen. Zu verhindern gilt es etwa, dass Reisende spontan mit Einheimischen plaudern. Das ist nicht nur unerwünscht, sondern verboten – würden Nordkoreaner gegen das Verbot verstoßen, träfen sie harte Strafen. Woraus folgt, dass es kaum etwas zu dolmetschen gibt.
Nach Nordkorea einreisen dürfen nur Touristen, die an einem von der staatlichen Tourismusorganisation Ryohaengsa organisierten Programm teilnehmen. Als Einzelreisender bucht man aber besser nicht dort direkt, sondern über einen deutschen Vermittler wie zum Beispiel den Veranstalter Lernidee, der wertvolle Tipps bei der Reisevorbereitung gibt, insbesondere bei der komplizierten Beantragung des Visums. Der Vermittler kann allerdings auch nichts daran ändern, dass Ryohaengsa sich kaum um Kundenwünsche schert. Auf dem Standard-Reiseplan stehen zahlreiche Pflichtbesuche ideologisch aufgeladener Stätten, darunter das Geburtshaus des Staatsgründers, der Chuch’e-Turm (das Wahrzeichen der Hauptstadt Pjöngjang, auf dessen Spitze eine künstliche Flamme flackert), die Internationale Freundschaftsausstellung mit einer Sammlung von Staatsgeschenken (darunter Säbel, Gewehre und Jagdtrophäen von afrikanischen Gewaltherrschern wie Mugabe und Gaddafi, ein von Pelé signierter Fußball sowie ein riesiger Teddybär im FDJ-Hemd von Erich Honecker). Und immer, immer wieder sind Standbilder des »Ewigen Präsidenten« Kim Il Sung zu ehren. Jeweils am Vorabend werden Touristen im freundlichen Befehlston gefragt, ob sie am nächsten Tag Blumen vor den Standbildern niederlegen wollen. Diese Frage ist obligatorisch zu bejahen, man zahlt dann jeweils drei bis sieben Euro für einen Strauß, lässt sich diesen anderntags aushändigen, positioniert ihn zu Füßen eines Diktators aus Stahl oder Marmor und muss sich verbeugen.
Weitere Stationen des staatlich verordneten Reiseprogramms sind die innerkoreanische Grenze und, zurück in Pjöngjang, die Studienhalle des Volkes am Kim-Il-Sung-Platz. Um die Überlegenheit der nordkorea- nischen Technik zu demonstrieren, bieten die »Dolmetscher« deutschen Gästen an, deutschsprachige Literatur aus den Beständen der Bibliothek zu organisieren. Durch eine Art Rohrpostsystem schießt dann sofort eine kleine Plastikwanne herbei: »Darin lagen eine Doktorarbeit mit unverständlichem Titel, ein Buch über Pflanzenkunde und ein Buch von Dr. Oetker über die Zubereitung von Wildfleisch«, berichtete mir ein Kollege mit Nordkorea-Erfahrung. In solchen Situationen ein Schmunzeln zu unterdrücken, ist nicht einfach, aber notwendig. Denn über so viel Überlegenheit nordkoreanischer Technik und Bildung macht man besser keine Scherze, solange man im Land ist.
Ansonsten sieht man sehr viel Grau: hohe graue Plattenbauten, generell schmucklos mit Ausnahme von Regierungsgebäuden. Graue Autobahnen, absolut leer. Kleine triste Geschäfte mit Menschenschlangen davor. Beton, Zweckmäßigkeit, Freudlosigkeit. Wer Fotos davon machen möchte, muss sehr geduldig sein, denn vor jedem Foto gilt es, die »Dolmetscher« um Erlaubnis zu bitten. Haben sie den Eindruck, ein Bild könne ein negatives Licht auf ihren Staat werfen,
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