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Klemperer, Viktor

Klemperer, Viktor

Titel: Klemperer, Viktor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die Tagebücher
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..› – Haben Sie vielleicht etwas von einem * Dr. Lang gehört, einem jüdischen Arzt 1 – bis kurz vor dem Krieg hatte er seine Praxis, später sah ich ihn mal beim Goehlewerk ...? – Ich kenne ihn nicht, aber wenn er Jude war, hat man ihn bestimmt längst nach Polen gebracht, die sind alle fortgebracht worden ... Die Frau entrüstete sich, sie beschimpfte die mörderische Regierung maßlos, aber immer mit Angstausbrüchen dazwischen u. mit Beschwörungen sie nicht zu verraten. Sie schenkte mir eine Rasierklinge – ein Apparat hatte sich als Soldatennachlaß gefunden – u. ein Kämchen. Sie hatte, u. das machte sie uns sympathisch, eine Katze in Dresden aufgelesen u. nach Piskowitz gebracht. – –
    Die Soldaten rufen die Kinder zum Mitessen, es gibt Fleisch .. Es gibt sicher in jeder Armée brave Leute u. Mörder. –
    Die Wohnstube hier: Die geweißte Decke mit ihren Balken höchstens zehn, zwischen ihnen etwa 16 cm über meinem Kopf. Fünf Miniaturfensterchen. Einrichtung außer dem Eßtisch ein Plüschsopha, ein Schreibtisch, ein elegantes Schränkchen mit Spielgelaufsatz, ein einfaches Eckschränkchen. Dies dient als Altar; ein gipsener Heiland darauf, künstliche Blumen davor, fromme Sprüche, ornamentverziert, in zwei Rahmen rechts u. links an der Wand. Hinter dem Eßtisch ein Bild der Maria mit Kind, beide mit großen Heiligenscheinen. Über dem Sopha eine große Soldatenphotographie, zu ihren Seiten zwei langgestreckte Bild Ansichten von Heringsdorf – * Agnes großer Reiseerinnerung 2 .
     

 
    Donnerstag Morgen 22. II 45
     
    Gestern Abend brachte der junge * Rothe, ein frischer Junge von etwa 17 Jahren, einige Nummern des vom Kamenzer Tageblatt . Trostlos für uns die Heeresberichte: weder im W. noch im O. kommt der Gegner vorwärts, fraglos ist jedenfalls, daß von einer Panik deutscherseits keine Rede ist. So kann es noch monatelang weitergehen. Widerum: unter dem 16. II sind Standgerichte eingesetzt worden. Auf jede Schwächung des Widerstandes steht der Tod. Ich combiniere das mit den Desertionen in den letzten Dresdener Tagen. Wie lange kann man mit Gewalt allein ein verzweifelndes Volk im Widerstand festhalten? – Schamlos die kurzen Notizen über Dresden. Immer nur die unersetzlichen Kunstdenkmäler, kein Wort über die 200 000 Toten. Woraus wieder ein Schluß zu ziehen auf die Verluste bei den inzwischen erfolgten Terrorangriffen. (Wohnviertel in Frankfurt a/M. geschädigt etc. etc.) Ich darf also die Hoffnung nicht aufgeben, vielleicht doch durchzukomen. Aber immer lastet der Druck der scheußlichen Todesgefahr auf mir. Lieber einer neuen Bombe erliegen, als wissend erschossen zu werden. – Im Anzeigenteil der Blätter gibt es die Rubriken Tiermarkt (Zwei hochtragende Sauen ..), Verloren – Gefunden (Schwarze Fausthandschuhe mit rotem Rand verloren), Käufe u. Verkäufe (Gebr. Herrenfahrrad von berufstätigem Flüchtling dringend gebraucht) – Verschiedenes : 50 M Belohnung zahle ich demjenigen, der mir nachweist, wo mein Handwagen, grün gestrichen ... geblieben ist. – – Suche meinen Mann, * Ed. Tirkot, aus Liegnitz. * Frau Erna Tirkot, Gelenau 23. – Frau * Hedwig Kasperczyk u. * Tochter aus Oppeln .. wird von ihrem * Mann gesucht. Jetzt wohnhaft Straßgräbchen Nr. 25 bei Jentsch. Dies sind Beispiele vom 20/II. In den uns gebrachten vier, fünf Numern der letzten Tage ist das Verschiedene ganz ausgefüllt von solchen Suchannoncen versprengter Familienglieder. Frauen suchen ihre Männer, Eltern ihre Kinder u. umgekehrt. Etwa neun Anzeigen in jeder Nummer. Es scheint sich durchweg um Flüchtlinge aus Schlesien zu handeln. Der Name Dresden taucht nur zweimal auf, u. auch in Dresden saßen Flüchtlinge. –
    Die Nacht . Ich bin nun ganz gewohnt, in Hosen unter dem dicken Deckbett zu schlafen u. ein bißchen zu schwitzen (bei meinem schweren Schnupfen); morgens trockne ich wieder, u. wenn ich mir die Hände u. den ganzen Kopf mit warmem Wasser u. * Agnes guter Seife in der Küche wasche u. ein bißchen die Zähne putze, bin ich schon sehr erfrischt. * E. bekommt es fertig, sich oben, während * Marka noch schläft, mit einem nassen Handtuch ganz abzuwaschen (alles aus der einen Schüssel ); ich will mich heute auch wieder rasieren, hier in der allgemeinen Stube. – Im Fensterchen der helle Mondschein. Großes andauerndes Käuzchenconzert. Wenn es dunkler wird, geht die Nacht ihrem Ende entgegen u. die Käuzchen schweigen. Um diese Zeit wanderten Eva u. die Kleine die wacklige

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