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Klemperer, Viktor

Klemperer, Viktor

Titel: Klemperer, Viktor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die Tagebücher
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sah ich kaum noch. Zu regulärer Mahlzeit fehlte die Zeit. Zweimal in diesem Hin u. Her kehrten wir in einer Imbißhalle ein, wo man für unverhältnismäßig viel Geld markenfreie Kleinigkeiten, einen Obstsalat, ein Brod mit Fischpaste, eine Bouillon bekam. Um 15 h. abgehetzt nach Dachau . Dort um 16 h hieß es, wir könnten wohl noch am späteren Abend in Ingolstadt sein, aber dort sei beim letzten Angriff der Wartesaal zerstört worden; besser blieben wir in Dachau, vielleicht gebe es sogar im Ort Quartier. Der Ort lag ziemlich weit ab von der Station, zusamenhanglos verstreut um den nicht sehr hoch aber klotz- u. tablettförmig aufragenden Berg herum, der das ummauerte Schloß trägt. Wir überlegten noch, da kam Vollalarm. Ein Stück ab vom Bahnhof trafen wir auf das erste größere Haus, einen Gasthof. Man lehnte entschieden ab, uns in den Keller zu lassen, der öffentliche LSR 2 sei im Berg selber. Dorthin führte rechtwinklig zur Bahnhofstr. ein weiter Weg zwischen Wiesen u. Feldern. Am Weg aufgeschichtet lagen ein paarmal Stämme, hinter einem dieser Holzstapel fiel das Terrain ein wenig ab, es entstand so ein halbwegs gedeckter Unterschlupf. Ein Soldat hatte hier Rast gemacht; ich war vom Gepäck beschwert, auch stark beunruhigt, so kauerten wir uns auch hinter die Stäme. Nach einer Weile aber, obwohl man noch nichts hörte, wurde der Platz dem Soldaten unheimlich, er riet, den Bergbunker aufzusuchen. Der Weg war noch immer belebt, kein Geschwader zu hören, so eilten wir vorwärts. Man trat in einen schmalen Tunnel, der, erst naß, später trocken tief in den Berg hineinführte. Innen gab es Seitenräume; das Ganze, gut erleuchtet, schien ein verlassenes Bergwerk, war in Wahrheit aber erst in jüngster Zeit ausgebaut worden u. mit seiner natürlichen hohen Bergdecke wahrscheinlich der sicherste, vielleicht der einzig sichere LSR Bayerns od. Deutschlands.
    Nur freilich so überfüllt, daß man sich kaum bewegen konnte. Radiomeldungen wurden durchgerufen, Angriffe auf München oder die Vorstädte Münchens sollten im Gange sein. (Seitdem ist München wiederholt angegriffen worden, wir wissen nicht, ob * Voßlers Wohnung noch intakt ist). Nach einer reichlichen Weile durften wir das Berginnere verlassen. Wir stiegen nun den Berg hinauf bis zum regelmäßigen Schloß mit seinen vier gleichartigen Pyramiden-Ecktürmen u. der breiten regelmäßigen Estrade. Weiter Blick ins Land, aufsteigende schwarze Wolken sollten vom getroffenen Flugplatz Schleißheim, genauer: von dessen Öltanks, herstammen. Wo in der Ebene im oder beim Ort das berüchtigte Kz Dachau lag, konnte ich nicht feststellen ... Ein paar Meter unterhalb des Schlosses, aber doch auf der Höhe des Berges, auf dem Marktplatz von sozusagen Ober dachau liegt als mächtiger Kasten, wahrscheinlich als selbständiges Bräu, der Gasthof von * Aloys Zwicknagl. Dort aßen wir während eines neuen aber nur kleinen Alarms gut zu Abend – Quartier gab es natürlich keines – u. nach der Entwarnung machten wir dann resigniert unsern Gepäckmarsch zum Bhf zurück u. übernachteten wieder im Wartesaal, bettlos u. – jedem Angriff gegenüber – schutzlos. Natürlich auch immer ungewaschen.
     

 
    Am Dienstag d. 10. April sollte es um 5 h morgens nach Ingolstadt weitergehen, dort würde es Anschluß nach Aichach geben, Nachmittags seien wir am Ziel. Wir stiegen auch gegen 5 in einen bereitstehenden Zug u. fanden gute Sitzplätze, aber wir saßen beinahe volle vier Stunden, ehe der Zug sich in Bewegung setzte. Während der Wartezeit u. des Fahrens wechselten Kleinalarm u. Entwarnung miteinander ab. – Von diesem Tage an vermag ich nicht mehr, u. es hat auch keinen Zweck mehr, die einzelnen Alarme auseinandergelegt anzugeben. Einmal bläst es aus irgendeiner Ecke, von nah oder fern, immerfort: kleiner Alarm, Fliegeralarm, Entwarnung u. zwei Minuten später das neueste Signal, die zwei Heulperioden der akuten Luftgefahr [,] die den Einzeljäger u. Tiefflieger anzeigen. Zum andern sagt die Zeitung selbst, die Signale seien nicht mehr absolut zuverlässig, weil die rasend raschen Tiefflieger oft schon angreifen, ehe man sie noch melden konnte. Der kleingewordene Rest Deutschlands ist eben nichts weiter mehr als eine Art Tattersall oder Spielplatz für die feindlichen Flieger. – Wir kamen um ½ 12 in Ingolstadt Ingolstadt an, nach Aichach sollten wir um 13 h weiter. Der Bahnhof war, der Dachauer Auskunft zuwider, ganz unbeschädigt, wir bekamen sogar im

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