Klemperer, Viktor
Sie hatte einem communistischen Sportverein angehört, hatte * Horst Wessel persönlich gekannt. Ein Zuhälter 2 .. in einer Weiberaffaire, u. nicht aus politischem Grund, getötet. Ihr Mann bei der neuen Waffe als Arbeiter tätig, die Fabrik sei – durch Sabotage vermutlich – in die Luft geflogen.
Abends dann noch lange be im Schulhaus; wir mußten ein Gesuch um Freilassung des * Dr. Steiner begutachten (u. mildern); wir erzählten von unserer Vergangenheit, unseren Plänen: Anfreundung Anfreundung. Am Schweizer Rundfunk erschütterte u. packte mich der Satz einer Alliierten Erklärung: Deutschland habe aufgehört[,] als souveräner Staat zu existieren, mit seiner Verwaltung aber können sich die Alliierten nicht selber belasten, da müßten Deutsche unter alliierter Controlle arbeiten. Ich nahm hierzu, was die * Schwestern aus anderen Radioberichten erzählten: daß in Aachen schon wieder die Schule im Gang sei, mit vornazistischen in einer amerikan. Bibliothek aufgefundenen Lehrbüchern; daß in Frkf Frankfurt noch 140 Juden angetroffen u. sofort in den Aufbaudienst eingestellt worden seien. Daß ich sofort versuchen müßte[,] ins Spiel zu komen, meine Ansprüche u. Kenntnisse anzumelden, stand uns beiden gleich fest. So kam der heutige Gewaltmarsch zustande.
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Pfingstmontag 21. Mai 45. München. Martinsspital (Catholic Home for old men and woman) .
ybris! 3 Das verfolgt mich seit Freitag Vormittag, wo wir aus glücklicher Zuversicht in neues Elend, einen Moment geradezu in Verzweiflung, stürzten. Ich hatte geglaubt, nun wieder einmal ein annähernd großes Tier zu sein, u. sank nun in eine Hilflosigkeit zurück, die kaum geringer war als die der * Hitlerzeit. Es gab Minuten, in denen ich zwischen Gestapo u. der Military Police, die den Zugang zum Rathaus mit Brachialgewalt sperrte, keinen solderlichen Unterschied mehr machte. Inzwischen habe ich das Tragikomische u. Provisorische des Rückfalls einsehen gelernt, betrachte die Dinge geduldiger u. unter dem Gesichtspunkt eines neuen Cur.-Capitels, in alledem von * E s Stoizismus unterstützt; aber die gefühlsreichen u. immer wieder auftauchenden Hakenworte Üßris u.In meines * Nichts durchbohrendem Gefühle 4 dominieren auch heute noch. –
Mildernde Umstände: was ich als Radiomeldung u. Bericht der * * Schwestern am Do. Abend zusamengefaßt habe, das haben wir teilweise schon Tags oder gar zwei Tage zuvor gehört, u. beide waren u. sind wir auch jetzt der Meinung, ins Spiel zu komen, anwesend zu sein, sei das Dringlichste für mich. Und weiterer mildernder Umstand: das Verhalten der Miss Lazar u. überhaupt das ganzen Military Government in Aichach. Es war E s Rat u. auch meine Meinung gewesen, ich sollte erst einmal allein auf einen Tag nach München zu komen versuchen u. dort erkunden, wie die Rückkehr-Möglichkeit stünde. Stattdessen ...:
Wir waren am Donnerstag (17. 5.) schon recht müde u. erhitzt am späteren Vormittag nach Aichach gekomen. Das Office war voll – gleiches Bild wie bei meinem ersten Dortsein. Miss Lazar, übrigens mit Ehering u. diesmal abgespannter, älter, ernster als neulich, begrüßte mich sofort als verehrten Bekannten: Guten Tag, Herr Professor, klappt es denn jetzt? Und dann nach meinen ersten Worten: Für Sie ist es das Beste, sofort nach München zu gehen, mit Ihrer Frau, mit allem Gepäck – ich verschaffe Ihnen den Paß. Ich wandte ein, dort hätte ich weder Quartier, noch Kost, u. es sei doch unbestimmt, wie ich weiterkäme. – Aber nein! es sei selbstverständlich, sie garantiere mir, etc. etc., ich brauchte mich in M. nur bei Militargovernment zu melden, u. für mich – für mich! Ich war ihr eben das große Tier – sei selbstverständlich gesorgt. Es war ein amerikan. Soldat im Office[,] den ich an Aussehen u. Bewegungen sofort als Juden erkannte. Sie flüsterte ihm ein paar Worte zu, u. sofort schüttelte er mir die Hand, u. zwei Cigarren wurden mir zugeschoben. (Do you speak German or French? Kopfschütteln. Es ist gar nicht zu sagen, wie sehr ich mein Nichtenglischkönnen bedaure.) Ein stark geschminktes junges Mädchen tauchte als Kollegin der Miss Lazar auf, wie ich danach erfuhr, französische Schweizerin – wir sprachen dann Französisch miteinander. Ihr wurde mein J-Paß erklärt, ich hörte auch etwas von many books .. – auch die Französin strahlte Liebe. Inzwischen bekam * E. ihren Ohnmachtsanfall, mußte sich ein Weilchen flach auf den Boden legen. Man wollte sie ins
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