Klemperer, Viktor
sagen). –
Abends dann trafen wir die * * Schwestern an ihrem Gartentor. Das war sehr willkomen, denn es ging nicht an, sie schon wieder zu besuchen. Frau St. berichtete als Neuestes: es gebe in Aichach noch eine zweite höhere amerik. Behörde mit einem Obersten an der Spitze; dort würde man individueller u. ausführlicher behandelt, allerdings nur via Landratsamt vorgelassen. Sie rate mir, mich dorthin zu wenden, sie selber werde es in ihrer Sache auch tun. Ein bisschen über den Holzplatz der Mühle schlendernd beschlossen wir daraufhin zur Feier des 16. Mai für heute eine gemeinsame Fahrt nach Aichach – * E. wollte auch selber das dort aufgepflanzte USA-Banner sehen. Vielleicht, daß wir unsere Rückkehr doch beschleunigen könnten, daß ich beim Auf- u. Umbau die Hand ins Spiel bekäme, la main qui * crayonna 2 – vielleicht daß sich ein Tommy-Cigarettenstumel auf der Straße fände oder eine tabak-ergibige Connexion mit Miß Lazar oder sonst einem Glaubens-, Rasse- oder Gesinnungsgenossen ...
15 h Die Aichach-Feier des 16. Mai mißglückte leider: das Milchauto (diesmal sollte es ein bulldog mit Anhänger sein) kam u. kam nicht. Von 7 bis 10 Uhr warteten wir vor * Fl.s Haus u. beobachteten gemeinsam das dörfliche Morgenleben, wie ich es neulich allein beobachtet habe. Die Milchkannen werden herangebracht, Frauen u. Mädchen gehen zur Messe, * Frau Wagner geht zu ihrem Hühnerstall, der wie ein Kasperletheater aussieht, der * Pfarrer geht zur Messe, man begrüßt sich untereinander u. uns, die Schwalben fliegen in die Stallmauer des Nachbarn u. heraus, der Pfarrer komt aus der Messe, Frl. Haberl erscheint, die Morgenkühle vergeht, es wird angenehm warm, es wird unangenehm heiß, Flocki kaut an allem, Vater Fl. komt mit einem Ochsenwagen, auf den er Säcke mit Heu geladen hat ... aber der Bulldog kommt nicht. Länger als bis 10 zu warten, hatte keinen Zweck – wir wären in die Mittagspause des engl. Büreaus hereingeraten, u. am Mittwoch Nachm. wären selbst die vielleicht offenen Läden geschlossen gewesen. Wir gingen recht ermüdet nach Hause (u. erst nach 11 h hörten wir das Milchauto hier vorüberrasseln). Wir wollen nun am Freitag – denn morgen will uns der verwandelte Bürgermeister * Munz hilfreich aufsuchen – eine Fußwanderung nach Aichach unternehmen.
Unter den Leuten, die ich am Morgen sprach, war auch die neulich erwähnte Berlinerin mit der eingedrückten Nase u. dem intelligenten Wesen. (Intelligent heißt nicht gebildet: sie spricht blühendes Berlinisch u. sagt wahrhaftig Gorillakrieg 3 – herrliche Volksetymologie.) Sie hat wejen Ausdrücken mit 15 andern zusamen in einer Zelle gesessen, es komt allmählich mit wachsendem Vertrauen zu mir immer deutlicher u. mit immer mehr Details heraus, wie sehr ihre ganze Familie, Vater, Bruder, Mann der KPD verbunden war u. für die KPD gelitten hat. Alles das in schön Berlinischer Tonart, Ruppigkeit u. Gefühl wohlgemischt.
Eigenheit des Berliners: er versteht Witz auf Anhieb: die Frau war sofort entzückt, als ich ihr den Fragebogen des 4. Reichs zum Trost erzählte: .. wenn nicht, warum? 1
Wiederholt, von Flüchtlinginnen jeder Gesinnung u. Provenienz, hören wir jetzt die Sehnsucht: wenn wir nur nachhaus könnten, wenn wir nur irgendwelche Verbindung mit unsern Angehörigen bekomen bekämen! Und immer wieder: der Mann ist jetzt fünf, sechs Jahre Soldat – ob sie ihn gleich nach Rußland schicken? Er war ja gar nicht bei der– bloß bei der Wehrmacht! .. Die Berlinerin sagte giftig: heute kamen zwei durch, die wollten gar keine Papiere haben; ich kenn doch die Jesichter, die waren bestimmt!
17. Mai. Amtshaus 18 h. Donnerstag
Die Hand zittert vom Gewalt- u. Hitzemarsch nach u. von Aichach. ½ 8–½ 11 hin, Bureaumühsal, Ohnmachtsanfall * E s. Voller Erfolg, Rückmarsch bis jetzt. Ende der Dorfepisode, Anfang der Heimkehr: morgen früh nach München. –
Gestern Nachm. ein Auto mit amerikan Soldaten, darunter zwei Chinesen. Der * Bürgermeister führte die Leute durchs Haus, öffnete unsere Tür ein wenig, sagte ihnen ein paar Worte, u. das war alles. Das Auto fuhr weiter, zwei Soldaten lagerten sich bis zu seiner Rückkehr ins Gras, schenkten den herankomenden Kindern Bonbons od. Chokolade.
Dann erschien * Frl. Haberl, brachte Brod u. Quark aus Aichach mit.
Dann die zutunliche Berlinerin mit einem Packet Kathreinerkaffee u. zwei Cigaretten. Sie erhielt ein bisschen Zucker von uns, u. wir plauderten lange mit ihr.
Weitere Kostenlose Bücher