Klemperer, Viktor
Medizin studieren. – Kaulbachstr: die Dame unter falschem Namen, die * Georgs Nachbarin am Nollendorfplatz war .. Die Dame unter falschem Namen, der nun der rechte verweigert od. angezweifelt wurde, die plötzlich mit einem Zeugen angelaufen kam. – Die Verzweiflungen * Marons u. * Neuburgers. –
12 h u. später . Diese Verzweiflungen, die auch die meinigen sind, das ist nun schon nach den Erlebnissen dieses Vormittags notiert. Maron hatte mir gestern gesagt, einen Reisepaß über 50 km. könne er mir geben , aber es schien nach seinem Verhalten, als sei das ganz unnötig. Dann kam die Warnung des jungen Mannes gestern Abend, dann sprach ich beim Frühstück mit dem 3 x zum Tode Verurteilten – solche Typen tauchen immer wieder auf, ich denke an 1918/19 –, er sagte: auf alle Fälle ein Papier, mit 50 km. kommt man auch weiter. Ich fuhr also nach 9 zu Maron. Plötzliche Änderung: ich kome gut ins Rathaus, aber vor der Abteilung, in der Zimmer 195 liegt, stehen zwei Posten u. lassen mich auf keine Weise durch. Dieselbe Scene wie am Freitag vorm Rathaus. Ich will meinen Paß hineinschicken, sie lehnen es ab, immer das gleiche sture: ich solle in der Weinstr. (?) einen Passierschein holen. Dann kommt von außen her eine junge Dame, Deutsche, die irgendwie drin beschäftigt scheint, hört wer ich bin, nimmt meine n Paß Kennkarte u. komt nach zwei Minuten mit einer Karte zurück: Headquarters Military Government Munich. Pass Detachment F 1 F 3, eine Unterschrift. Ich darf vorbei u. gehe direkt in Marons Zimmer. Es ist kein Klient drin, am Schreibtisch ihm gegenüber sitzt ein jüngerer Herr u. Mitarbeiter. Lange, erst recht erregte, beiderseits erregte aber freundschaftliche Unterhaltung. Sie sagten, Sie könnten mir einen Pass über 50 km verschaffen – bitte darum. – Das habe ich nicht gesagt, ich kann höchstens bei den Amerikanern darum bitten, es ist unwahrscheinlich, daß .., er hilft Ihnen auch wenig ... Sie sind zu ungeduldig, Sie wollten ja ein Flugzeug gestellt haben .. Das habe ich nicht gesagt ... aber ich muß doch weiter, u. Sie sagten, ich könnte es wagen ... auf Ihr Risiko .. Was riskiere ich? – Gar nichts, ich weiß nur nicht, wie weit Sie komen, ob über die Donau .. vielleicht geht alles ganz leicht, vielleicht gar nicht ... Man beko m t nie eine bestimmte Antwort, es ist als ob man in qualligen Brei faßt! Sofort stimmten mir beide Herren zu. Genau so sei es wahrhaftig. Alles ändere [sich]in jeder Stunde, alles gelte nur für einen Bezirk u. nicht für den nächsten, stimme nur für den einen Offizier u. nicht für den andern, u. sie selber, * Maron u. sein Mitarbeiter da u. * Neuburger seien vollkomen, mais absolument, machtlos. Es komt eine verzweifelte Frau zu mir: ‹Stellen Sie fest, ob mein Mann in Dachau war›; ich bitte den Major um die Liste u. bekome sie nicht! (Mir fiel das erbitterteWort des Polizeioffiziers ein, sie täten zu wenig für die Überlebenden). Der andere Herr erklärte, der Major habe gesagt, in den nächsten 14 Tagen wolle er überhaupt keine 50 km-Erlaubnis geben, die mir übrigens auch gar nichts nützen könne, u. die ich auch gar nicht brauchte.
Es kann Ihnen nichts geschehen, wenn Sie nur zu essen haben. Ich: daran hapere es auch hier, man verweigere mir die Karten, weil die reguläre Wegzugsbescheinigung von Aichach fehle. Maron: Kaulbachstr 65! Neuburger muß u. kann Ihnen die Karten für hier beschaffen. Es werden auch Betten u. Verpflegung in der Kaulbachstr eingerichtet. Sie sind zu ungeduldig usw. usw., die alte Leier. So ging es ergebnislos zwischen uns dreien hin u. her. Maron salvierte sich auf den praecisen Rat[,] Geduld zu haben u. mich der Kaulbachstr anzuvertrauen, in 14 Tagen bis vier Wochen würden die Eisenbahnen in Gang sein, wozu wir uns den Strapazen der Wanderung aussetzen wollten mit schlechter Kleidung, in unsern Jahren ... Im übrigen stünde er mir immer wieder gern zur Verfügung. Der andere betonte noch einmal, geschehen könne mir von amerikan. Seite gar nichts. – –
Was nun? Hier heraus müssen wir morgen früh. Wir haben es zu bestimmt angekündigt, die Oberin hat mir die Schuhe reparieren lassen, hat mir gestern eine Gebäck
tüte geschenkt, uns eben heimlich Compot u. je eine Nudel nach der Suppe geschickt, erwartet unsere Hinterlassenschaft zu treuen Händen, unsere 16 restlichen Eier aus Schlaraffen-Unterbernbach sind hart gekocht – wir müssen fort, es ist absolut notwendig. Aber wenn uns nun Kaulbachstr 65 nicht
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