Klex in der Landschaft
weiterschlafen wollte, ging in einem Zimmer im oberen Stockwerk das Licht an, gleich darauf in einem anderen und dann in einem dritten. Klex setzte sich im Bett auf und beobachtete, wie in einem Raum nach dem anderen das Licht anging. Auf seiner Uhr sah er, daß es zehn nach zwei war. Er schaute wieder zum Haus, wo inzwischen das Oberlicht aus Buntglas über der Eingangshalle leuchtete. Als er aufstand, das Fenster öffnete und hinausschaute, hörte er leise, wie sich jemand vor Lachen ausschüttete – oder weinte. Lady Maud. Klex schlüpfte in seine Hose, zog die Hausschuhe an, schnappte sich seine Flinte vom Kaliber zwölf und rannte die Treppe hinunter. Oben im Herrenhaus war etwas überhaupt nicht in Ordnung. Er raste die Auffahrt hoch, wobei er beinahe gegen Dundridges Auto geprallt wäre. Der Scheißkerl trieb sich immer noch im Haus rum. Wahrscheinlich jagte er sie von einem Zimmer ins andere, was die Lichter und das wilde Gelächter erklärte. Das wollte er gleich mal unterbinden. Er umklammerte sein Gewehr fester, durchquerte den Vorgarten und betrat die Küche. Das Licht brannte. Klex ging zum Korridor hinüber und horchte. Jetzt war alles still. Sie mußten oben sein. Er war halb oben, als Lady Maud aus einem Gang kam und atemlos auf dem Etagenabsatz erschien. Sie rannte bis zur Treppe und schaute, nackt wie der Herrgott sie geschaffen hatte, auf Klex runter. Der starrte sie mit offenem Mund an. Dort oben stand die Frau, die er liebte. Bekleidet war sie wunderbar, nackt die Vollkommenheit in Person. Ihre großen Brüste, ihr Bauch, ihre herrlichen Schenkel – sie war die perfekte Verkörperung von allem, was er sich je erträumt hatte, und, was alles noch viel besser machte, sie befand sich offensichtlich in einer Notlage. Auf ihren geschminkten Wangen zeichneten sich Tränenspuren ab. Der Zeitpunkt war gekommen, da er für sie den Helden spielen durfte.
»Klex«, sagte Lady Maud, »was in aller Welt machen Sie hier? Und was haben Sie mit diesem Gewehr vor?«
»Hier stehe ich zu Euren Diensten«, sagte Klex galant, auf sein historisches Vokabular zurückgreifend. »Zu meinen Diensten?« sagte Lady Maud ungeachtet der Tatsache, daß sie für ein dienstliches Gespräch mit ihrem Gärtner nicht gerade angemessen bekleidet war. »Was meinen Sie mit meinen Diensten? Sie sind hier, um sich um den Garten zu kümmern, nicht, um mitten in der Nacht in Ihren Hausschuhen und mit einer Flinte bewaffnet durchs Haus zu spazieren.«
Auf der Treppe beugte sich Klex dem Ungewitter. »Ich bin gekommen, um Ihre Ehre zu verteidigen«, murmelte er.
»Meine Ehre? Sie wollten meine Ehre verteidigen? Mit einer Flinte? Sind Sie verrückt geworden?«
Das fragte sich Klex langsam auch. Er hatte damit gerechnet, sie vergewaltigt und ermordet vorzufinden oder doch wenigstens um Gnade flehend, und statt dessen stand sie nackt am Ende der Treppe und machte ihn zur Sau. Das fand er nicht richtig. Inzwischen hatte auch Lady Maud den Eindruck gewonnen, daß sie sich nicht ganz richtig verhielt. Sie machte kehrt, ging in ihr Schlafzimmer und zog sich einen Morgenmantel über. »Na schön«, sagte sie mit frischer Autorität, »was war das für ein Quatsch mit meiner Ehre?«
»Ich dachte, ich hätte gehört, wie sie um Hilfe riefen«, murmelte Klex.
»Um Hilfe rufen, daß ich nicht lache«, schnaubte sie verächtlich. »Sie haben nichts Derartiges gehört. Getrunken haben Sie. Ich habe schon einmal mit Ihnen über das Trinken gesprochen und ich will nicht noch mal darauf zurückkommen. Und was noch wichtiger ist, wenn ich irgendwelche Hilfe bei der Verteidigung meiner sogenannten Ehre brauche – was, Gott ist mein Zeuge, ganz und gar nicht der Fall ist –, werde ich Sie nicht bitten, mit einer Flinte vom Kaliber zwölf hierherzukommen. Jetzt aber marsch ins Pförtnerhaus und ins Bett. Ich will von diesem Unsinn kein Wort mehr hören, haben Sie verstanden?«
Klex nickte und schlich die Treppe hinunter. »Und wenn Sie gehen, können Sie unten das Licht ausmachen.«
»Jawohl, Ma’am«, sagte Klex, ging den Korridor entlang zur Küche und hatte das Gefühl, daß ihm erneut schreckliches Unrecht zugefügt worden war. Er machte das Küchenlicht aus und ging in den Ballsaal, wo er die Kronleuchter ausschaltete. Anschließend begab er sich durch den Wintergarten auf die Terrasse und wollte gerade die Tür schließen, als er eine zwischen den Farnen kauernde Gestalt entdeckte. Es war der Mann vom Ministerium, und er war nackt, wie Lady
Weitere Kostenlose Bücher