Klingenfieber: Roman (German Edition)
Nacht, um den Rittrichter und seine Männer aufzuspüren und ein für alle Mal unschädlich zu machen.
Oder sie verkleidete sich morgen so, dass sie inmitten des bunten Volkes nicht erkannt werden konnte.
Sie überlegte hin und her. Wieder die Klingen in ihr. Attacke, Parade, Konter.
Der Rittrichter und seine Männer waren auffindbar. Selbst wenn sie sich gut verbargen. Ihre Pferde waren irgendwo untergestellt. Und Brendin Grya war trotz der Zeltstadt nicht allzu groß. Sechs zusammengehörende Pferde konnten nicht unbemerkt geblieben sein. Und irgendjemand würde wissen oder zumindest ahnen, wo ihre Besitzer sich aufhielten. Dann konnte sie sie überraschen. Das Heft in die Hand nehmen. Statt darauf zu warten, dass sie ihr auflauerten. Das war gut. Es würde reinen Tisch machen.
Aber es würde auch alles gefährden. Erenis hätte lieber erst Hektei getroffen und dann erst alles gewagt. Der Rittrichter mochte ein Schwächling sein, aber seine fünf Helfer waren möglicherweise schnell bei der Hand mit ihren ehrlosen Schusswaffen.
Vielleicht war es sogar einfacher, diese Sonderbüttel inmitten einer Menschenmenge anzugreifen, inmitten eines Chaos, das sie nicht lenken konnten. In ihrem Quartier kannten sie sich aus. In einer Panik jedoch konnten sie auch nicht einfach wild drauflosschießen. Falls sie Unschuldige umbrachten, würde das den Triumph des Rittrichters zunichtemachen.
Erenis lächelte bei diesem Gedanken.
Aber natürlich wäre es traurig, wenn Frauen oder Kinder zu Schaden kämen.
So geduldig wie möglich fasste sie ihre Überlegungen zusammen:
Der Angriff auf das Quartier des Rittrichters war zu riskant, die Übermacht zu groß.
Ein offenes Betreten des Ovals wäre eine Herausforderung und ein sicherlich hochinteressantes Chaos, aber die Gefahr für andere war nicht kalkulierbar. Erenis lag nichts daran, Unbescholtene in ihr Leben hineinzuziehen.
Also entschied sie sich für eine Verkleidung.
Sie besaß genügend Münzen, um ihr etwas schwer Durchschaubares zu ermöglichen.
Als die Sonne aufging, vertrieb sie die Schattenkälte aus dem Oval.
Stenrei erwachte und wusste zuerst nicht, wo er war. Dann fand er sich wieder inmitten von einhundert, zweihundert schlafenden oder wachenden Fremden, die alle einen Holzstab bei sich hatten, als wäre dies der einzige erstrebenswerte Besitz überhaupt. Der zur Ruhe gekommene Hafen war ein eigentümlicher, fast unsinniger Ort, die erwartungsvolle Stimmung jedoch, die dort herrschte, ließ Stenreis Herz höherschlagen.
Auch Yunia neben ihm erwachte gerade. Wachsam registrierte sie die Bewegung in ihrer Nähe. Er lächelte ihr freundlich zu. Sie nickte nur. In wenigen Stunden schon würden sie Kampfgegner sein.
Er nahm ihr gestriges Angebot an und ließ sich von ihr seinen Platz frei halten, während er einen Abtritt aufsuchte. Dort herrschte großer Andrang. Es gab auch Eimer zum Waschen, die von Bediensteten ausgetauscht wurden. Ein stetiges Schwappen und Schaben von Holz auf Stein. Es roch streng. Die Teilnehmer sprachen kaum. Sie alle würden bald aufeinander losschlagen, ihnen war deshalb eine höfliche Peinlichkeit anzumerken.
Das Oval füllte sich immer noch. Bei Weitem nicht sämtliche Teilnehmer hatten die Unannehmlichkeit auf sich genommen, im Sand zu nächtigen. Es wurde enger im Mittelraum, die Stockabstände kürzer. Die Masten richteten sich wieder auf, der Hafeneindruck erstand von Neuem wie die Kulisse in einem Theaterstück.
Yunia stritt sich mit zwei Neuankömmlingen, als Stenrei zu ihr zurückkam. Die Neuen wollten nicht einsehen, dass der Platz neben ihr belegt war. Beide waren älter als Stenrei, aber als er dazukam und bestätigte, dass das sein Platz sei, trollten sie sich. Er dankte Yunia und fühlte sich, als hätte er bereits die ersten Kämpfe gewonnen, zwei Gegner ausgeschaltet. »Die waren frech«, beschwerte sich Yunia, »ich hoffe, ich treffe sie im Gefecht wieder.«
Stenrei musste erneut an Erenis denken.
Die Sonne stieg, als würde sie über den Rand des Ovals ins Innere lugen wollen, neugierig, was sich dort ereignete.
So langsam kam auch Bewegung in die Zuschauerränge. Ganze Familien besetzten Plätze. Viele alte Leute, mit Trauben in den Händen, mit Sonnenschirmen und Trinkgefäßen aus Holz. Geschäftsfreunde, die sich erst letzte Nacht in der Zeltstadt kennengelernt hatten und ihre vielversprechende Zukunft feiern wollten. Junge Mädchen, die sich herausgeputzt hatten, um nach jungen Männern Ausschau zu
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