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Klondike

Titel: Klondike Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James A. Michener
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durchhielt, und da Harry sicher war, daß das Tier vor Ablauf einer Woche verendet war, mußte er davon ausgehen, daß auch die drei Besitzer umkommen würden.
    Schließlich traf er sogar auf eine gutaussehende Frau Ende Dreißig, die vorhatte, den Landweg allein und zu Fuß zurückzulegen, als Proviant diente ihr nur ein kleiner Beutel Trockenfrüchte. Bei diesem Anblick verlor er endgültig die Fassung und schimpfte: »Gnädige Frau, Sie werden völlig geschwächt sein nach einer Woche und am Ende der zweiten Woche tot umfallen.« Als sie ihm mit Tränen in den Augen entgegnete, sie habe zu Hause in Iowa zwei Kinder zu versorgen, tat er etwas, das ihn selbst nicht minder überraschte als sie. Er legte die Arme um sie, drückte seinen buschigen Bart an ihr Gesicht und gab ihr einen dicken Kuß auf die Wange.
    »Madam, Sie sind eine schöne Frau und sicher eine wunderbare Mutter. Aber kehren Sie um Gottes willen um, und gehen Sie zurück nach Iowa. Auf der Stelle!« Noch bevor sie ein Wort des Protestes einlegen konnte, gab er ihr verstohlen fünfzehn kanadische Dollar, nahm sie an die Hand und begleitete sie zum Bahnhof, von wo aus sie die Heimreise antreten konnte.
    Philip Henslow hatte derweil ein Erlebnis ganz ähnlicher Art, ein Erlebnis freilich, das überraschende Folgen haben sollte.
    Lustlos schlenderte er durch die Straßen, fragte jeden Fremden, der ihm über den Weg lief und so aussah, als wüßte er etwas mehr über die diversen Routen nach Dawson, als plötzlich wenige Schritte vor ihm eine Frau lief, nach seiner Einschätzung ein gutes Stück älter als er selbst, die sich durch ihre extravagante Art zu kleiden von den anderen abhob.
    Was sie trug, sah aus wie eine umgearbeitete Militäruniform aus kräftigem, engmaschig gewobenem, dunklen Stoff: weiter Rock, nicht zu lang, Herrenjackett, an den Schultern gepolstert, fesche Schirmmütze, die schief auf dem Kopf saß, an den Füßen schwere, deftige Stiefel, an den Händen, obwohl es draußen warm war, dicke Handschuhe.
    Philip war so angetan von der ungewöhnlichen Aufmachung, daß er sich zu etwas hinreißen ließ, was er zu Hause in England niemals gewagt hätte. Erst die freie, gänzlich ungezwungene Atmosphäre, die in jenem Sommer in Edmonton herrschte, flößte ihm den nötigen Mut ein. Mit wenigen Schritten war er neben ihr, wandte sich ihr zu und fragte höflich: »Ma’am, wollen Sie auch an den Klondike?«
    Als sie aufschaute, um seinen Blick zu erwidern, verschlug es ihm fast den Atem, so überwältigt war er von ihrer Erscheinung. Sie war, wie er vermutet hatte, Ende Zwanzig, Anfang Dreißig, aber hatte die geschmeidige Figur eines jungen Mädchens. Ihr Gesicht war nicht schön im üblichen Sinn, makelloser Teint, vorstehende Backenknochen und harmonische Züge, es glich eher der Statue einer vornehmen italienischen Dame aus dem achtzehnten Jahrhundert, war von zeitloser Eleganz, voller Reize und wie aus Marmor geformt - und ebenso hart.
    Auf den ersten Blick, verzaubert, wie er war, schien sie aus einem exotischen Land zu kommen, weder aus Kanada noch aus Amerika und ganz sicher nicht aus England, denn ihr Haar, das seitlich unter der Mütze hervorlugte, war von so heller strohblonder Farbe, daß es fast wie Blattgold aussah.
    Das hervorstechendste Merkmal jedoch war ihr Lächeln, zu dem sich ihre Lippen langsam verziehen konnten und das widersprüchliche Botschaften an die Welt schickte: »Komm näher, damit wir ein wenig plaudern können.« Aber auch: »Bleib, wo du bist, damit ich abschätzen kann, wer du bist.«
    Nach der ersten kurzen Bemerkung von Philip war sie zu demselben Schluß gekommen wie er: ein Ausländer. Mit einer erstaunlich tiefen und weichen Stimme, wobei ein Akzent durchschimmerte, den Philip nicht gleich ausmachen konnte, fragte sie ihn: »Wo kommen Sie her?«
    »London.«
    »Wohl auch unterwegs zu den Goldfeldern, was?«
    »Wie alle hier.«
    »Sie sehen aus wie ein Bub. Zu jung für so eine Reise.« Als sie sah, wie er zusammenzuckte, fügte sie schnell hinzu, wie eine Mutter, die ihr Kind beruhigen will: »Vielleicht hat man mehr Mut, wenn man noch jung ist.«
    »Haben Sie jemals von irgendwelchen Berichten gehört über den Landweg nach Dawson?«
    Sie holte erst einmal tief Luft, als sie diese Worte vernahm, und sagte dann: »Sie wollen doch nicht etwa diese Route nehmen, oder?« Und als er erwiderte: »Deswegen erkundigt sich unsere Mannschaft ja bei den Leuten in der Stadt«, ergriff sie mit beiden behandschuhten

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